David Rotter - Mai / Juni 2012

   
 
Die Befreiung der Arbeit: Das 7-Tage-Wochenende  
     
 

Weltweit starren Manager fassungslos auf die Firma Semco: Was dort passiert, widerspricht allem, an was sie glauben. Die 3000 Mitarbeiter wählen ihre Vorgesetzten, bestimmen ihre eigenen Arbeitszeiten und Gehälter. Es gibt keine Geschäftspläne, keine Personalabteilung, fast keine Hierarchie. Alle Gewinne werden per Abstimmung aufgeteilt, die Gehälter und sämtliche Geschäftsbücher sind für alle einsehbar, die Emails dafür strikt privat und wie viel Geld die Mitarbeiter für Geschäftsreisen oder ihre Computer ausgeben, ist ihnen selbst überlassen.

Was für heutige Personalchefs klingen mag, wie ein anarchischer Alptraum, ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte. Seit das Unternehmen von Inhaber Ricardo Semler umgestellt wurde, stiegen die Gewinne von 35 Millionen auf 220 Millionen Dollar. Und nicht nur die Zahlen geben Semler recht, sondern vor allem die Mitarbeiter: Die Fluktuationsrate bei Semco liegt unter einem Prozent. Das Rezept ist einfach: Behandele deine Mitarbeiter wie Erwachsene, dann verhalten sie sich auch so. Je mehr Freiheiten du ihnen gibst, desto produktiver, zufriedener und innovativer werden sie. Ein Unternehmen besteht aus erwachsenen gleichberechtigten Menschen, nicht aus Arbeitskräften. Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten und eine gesunde Balance zwischen Beruf und Privatleben zu finden. Entgegen allem, was man aktuell zu glauben scheint, machen Druck und Stress Menschen nicht produktiv, sondern ganz einfach nur kaputt. Und dabei verliert das Unternehmen letztlich genauso wie der Mensch. Es geht Semler um ein neues Verständnis von Arbeit: Eine Firma ist ein Gemeinschaftsprojekt, im besten Fall eine geteilte Leidenschaft. Die Gesellschaft hat uns das allerdings anders beigebracht, wir sollen uns als Steinmetze, Maler und Hilfsarbeiter sehen, nicht als Kathedralen-Schöpfer. Bei Semco sind die Mitarbeiter essenzieller Teil eines Ganzen, sie sind Mit-Schöpfer, nicht bloß ein Rädchen im System. Sie haben Ideen, sie verstehen ihre Arbeit, sie wissen, was sie wert ist.

Aber unsere Personalchefs glauben noch immer, daß man Angestellte kontrollieren muß, über Stechuhren, feste Arbeitszeiten, Produktivitäts-Reports und Email-Spionage. Semco hat das alles aufgegeben und die Kontrolle durch Vertrauen ersetzt – und mal im Ernst: Wer will eigentlich mit Leuten zusammenarbeiten, denen man nicht trauen kann? Für Semler ist der Kontrollwahn der meisten Unternehmen einfach nur noch verrückt. Seine Mitarbeiter erziehen ihre Kinder und wählen Gouverneure, es sind erwachsene Menschen, die selbst am besten wissen, was sie möchten und brauchen. “Es ist völlig verrückt, diese Idee, daß die Menschen immer noch so fixiert darauf sind, wie etwas gemacht wird. Bei uns sagt keiner: ‘Du bist fünf Minuten zu spät’ oder ‘warum geht dieser Fabrikarbeiter schon wieder aufs Klo?’ [...] Wenn Du dich bei Semco im Büro umsiehst, sind da immer jede Menge leere Plätze. Die Frage ist: Wo sind diese Leute? Ich hab nicht die leiseste Idee und es interessiert mich auch nicht. Es interessiert mich in dem Sinne nicht, daß ich nicht sicherstellen möchte, daß meine Mitarbeiter zur Arbeit kommen und der Firma eine bestimmte Anzahl Stunden pro Tag geben. Wer braucht eine bestimmte Anzahl Stunden pro Tag? Wir brauchen Leute, die ein bestimmtes Ergebnis abliefern. Mit vier Stunden, acht Stunden oder zwölf Stunden im Büro – sonntags kommen und Montags zu Hause bleiben. Es ist irrelevant für mich”, erklärt Semler seltsam einleuchtend.

Semco ist etwas, das es laut dem Menschenbild heutiger Manager eigentlich gar nicht geben dürfte. Und wenn doch, dann dürfte es nicht funktionieren. Tut es aber. Drei Fragen hört Semler immer wieder: Macht ihr das wirklich so? Funktioniert es ganz im Ernst? Und: Was jetzt? Die ersten zwei sind einfach zu beantworten: “Wir machen das jetzt seit 25 Jahren, so ziemlicher jeder, den es wirklich interessiert, ist hergekommen, um zu sehen, ob es wahr ist. Und unsere Zahlen sind über jeden Zweifel erhaben”, sagt Semler selbstbewußt. Für ihn war das Aufbrechen der Unternehmensstruktur von Anfang an keine Traumtänzerei, sondern vielmehr die einzig mögliche Antwort auf unsere unmenschliche Arbeitswelt. Er hat es auf die harte Tour gelernt, wachte selbst erst auf, als er kollabierte und mit Komplett-Burnout in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Das war der Punkt, an dem er beschloß, seine geistige und körperliche Gesundheit nie mehr dem Job unterzuordnen – und das auch von seinen Angestellten nicht zu verlangen. Daß der Wahnsinn ein Ende haben muß. “Wenn man es sich genauer ansieht, muß man feststellen, daß das traditionelle System nicht funktioniert. Und das ist der Anreiz, sich nach etwas anderem umzusehen – so einfach sieht Semler das. Doch es fehlt vielen Unternehmern noch immer schwer, die Kontrolle loszulassen. Denn heutige Firmen sind nicht aufgebaut wie Orte des Schöpfens, sondern wie das Militär: mit einer hierarchischen Machtstruktur, mit Befehlsgebern und -empfängern. Semco hingegen ist in konzentrischen und durchlässigen Kreisen aufgebaut, es gibt keine Arbeitstitel, keine festen Büros. Niemand muß zur Arbeit kommen, ob von zu Hause, aus dem Dschungel oder einem Cafe an der Strandpromenade gearbeitet wird, ist den einzelnen Mitarbeitern und Teams selbst überlassen. Diese Teams sind das Herzstück von Semco. Die Menschen arbeiten in Gruppen, die jeweils ein Produkt oder ein Zwischenprodukt selbstständig fertigstellen. Wie sie das machen, in welcher Zeit und mit welchem  Geld, das ist ihre Sache. Wer zwischendurch schlafen will, geht einfach in den Firmengarten und legt sich für ein paar Stunden in die Hängematte – wer müde ist, macht ja eh nur Fehler.

Semco hat 3000 Mitarbeiter, aber keine Personalabteilung, da steht dem traditionellen Unternehmer der Angstschweiß auf der Stirn. Wer stellt diese Leute ein? Wer überprüft die Leistung? Das machen die Angestellten alles selbst. Stellt ein Team fest, daß eine neue Person gebraucht wird, schreibt sie im Intranet der Firma ein entsprechendes Meeting aus. Das ist natürlich freiwillig: Alle können kommen, keiner muß. “Wir wollen nicht, daß irgendwer in etwas verwickelt wird, was ihn nicht interessiert, deshalb sind alle Meetings freiwillig. Das heißt die Meetings werden bekanntgegeben und wer interessiert ist, kann und wird vorbeikommen und soll in dem Moment den Raum wieder verlassen, wenn es anfängt, ihn zu langweilen”, erklärt Semler die Meeting-Philosophie. Leute, die mitten in einem Meeting gehen, weil es sie langweilt – das würde so manchen Vorgesetzten in den Wahnsinn treiben. Aber bei Semco sollen eben nur die Menschen eine Entscheidung treffen und tragen, die es unmittelbar angeht und interessiert. Auf so einem Meeting könnte zum Beispiel beschlossen werden, daß ein neuer Mitarbeiter gebraucht wird und was er oder sie können muß. Dann wird gemeinschaftlich eine Annonce geschrieben, und sobald die Bewerbungen kommen, werden sie im Team aufgeteilt: Jeder, der möchte, nimmt einfach ein paar mit nach Hause und bringt die interessantesten dann wieder mit.

Statt Vorstellungsgesprächen gibt es ein Gruppengespräch mit allen Kandidaten gleichzeitig – auch hier darf kommen, wer will. Die einzigen Mitarbeiter, die regelmäßig formal bewertet werden, sind jene in Entscheidungs-Positionen – und zwar von allen anderen. Sollte einer dieser Manager wiederholt schlechte Bewertungen kriegen, geht er für gewöhnlich von selbst.

Tatsächlich regeln die Teams fast alles unter sich. Macht jemand keinen guten Job, so wird das im Team diskutiert, oder ein Meeting einberufen. Wer sich ein hohes Gehalt zuteilt, erhöht damit auch die Erwartungen des Teams und den Leistungsdruck. Aber auch die Mitarbeiter haben mittlerweile ein anderes Verhältnis zur Arbeit: Wenn jemand einen Haufen Geld verdient, die ganze Woche eigentlich nur Golf spielt, aber trotzdem einen guten Job macht und seine Aufgaben erledigt – wen kümmert’s dann? Was zählt, ist das Ergebnis. Eine Studie von CNN hat festgestellt, daß die Mitarbeiter bei Semco eine sehr viel gesündere Balance zwischen Privatleben und Beruf haben, sich mehr Zeit für Beziehungen, Kinder und Hobbys nehmen, aber gleichzeitig auch ungewöhnlich hohen Einsatz und bemerkenswerte Leistungen im Beruf zeigen. Nicht trotz, sondern wegen der Freiheiten. Für Semler ist das wenig verwunderlich: Menschen müssen sich entfalten können, um ihr Potenzial optimal einzubringen.

Semler ist sich sicher: Sein Konzept funktioniert überall. Er selbst hat es in Fabriken ebenso eingesetzt, wie in IT-Büros. Tatsächlich ist es eigentlich anders herum – es funktioniert überhaupt nur so. Unsere derzeitige Arbeitswelt mit ihren Burn-Out-Syndromen, mit Mobbing, Stress, Magengeschwüren und Depressionen funktioniert nämlich eben nicht, sie ist fortgesetzter Wahnsinn. Es wird Zeit, daß wir eine Gesellschaft erschaffen, in der Beruf wieder mit Berufung und Leidenschaft assoziiert wird, nicht mit Sklaverei und Ausbeutung. In  der Menschen wieder freie Entscheidungen treffen können und mit Respekt behandelt werden. In der Privatleben und Arbeit gleichwertig sind –auch für die Vorgesetzten. Es wird Zeit für das 7-Tage-Wochenende!

(D.K) Ich verdanke diesen Text Andreas Manthey. Er gibt als Quelle http://www. sein.de/gesellschaft/neue-wirtschaft/2010/die-befreiung-der-arbeit-das-7-tage-wochenende.html an. Aus dieser Quelle geht die Autorschaft von David Rotter nicht klar und deutlich  hervor.

Wikipedia: Ricardo Semler (* 1959 in São Paulo) ist der Geschäftsführer und Mehrheitseigner von Semco S/A, einem brasilianischen Unternehmen, das durch seine radikale Demokratisierung bekannt geworden ist. Unter Semlers Leitung stieg der Umsatz von 4 Millionen US-Dollar im Jahr 1982 auf 212 Millionen 2003 (was einer Veranlagung mit einem Zinssatz von rund 21 % p.A. gleichkommt). Die Anzahl der Beschäftigten stieg von 90 auf 3000. Semlers Management-Methoden haben weltweit großes Interesse gefunden.

1990 wählte das Wall Street Journal Ricardo Semler zum lateinamerikanischen Geschäftsmann des Jahres, 1990 und 1992 wurde er auch brasilianischer Geschäftsmann des Jahres.

Semler war Vizepräsident der Federation of Industries of Brazil und im Vorstand von SOS Atlantic Forest, Brasiliens bedeutendster Umweltschutzorganisation. 2003 gründete er die erste demokratische Schule Brasiliens, die Lumiar School.

Das Buch von Recardo Semler ist 1993 bei Heyne in deutscher Sprache erschienen. Es ist leider vergriffen. Ich habe es nur bei Amazon zu einem sehr hohen Preis (das Teuerste €  500.-) gefunden. Und noch etwas: Meine Sprachkenntnisse reichen leider nicht, um festzustellen, was Semco produziert. Das wäre sicher sehr interessant.

Die schwierige Recherche über das Internet in den Monaten März und April gibt Anlaß zu der Vermutung, daß es die Firma in der Form, wie beschrieben, nicht mehr gibt. Ich wäre sprachkundigen (Portugiesisch!) Lesern sehr dankbar, wenn sie mir bei der Recherche behilflich sein würden.

 
     
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