Dieter Kersten - September 2008

   
 

Demokratie am Beispiel
Mediaspree Versenken in Berlin

 
     
 

(D.K.) Demokratie in Deutschland, so wie ich sie sehen möchte, ist eine Direkte Demokratie durch eine Volksversammlung, der alle hier wohnenden mündigen Menschen angehören, gegliedert in Nachbarschaften (500 beieinander wohnende Menschen), eine gerade noch überschaubare Gemeinschaft von Menschen.

Natürlich gehören zu einer Direkten Demokratie auch Bürgerbefragungen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Entscheiden, z.B., kann man nur, wenn man informiert ist und wenn in Gesprächen die unterschiedlichen Meinungen und Informationen abgeglichen werden können. Informationen und Meinungen liefert heutzutage das Internet, ja, sogar Diskussionen finden in diesem weltweiten Netz statt. Was das Internet nicht ermöglicht, ist die persönliche Begegnung, das „In-einander-in-die-Augen-schauen“, was für das Vertrauen unter den „Beieinanderwohnenden“ (den Nachbarinnen und Nachbarn) von großer Bedeutung ist. Entscheidungsprozesse haben sehr viel mit Vertrauen zu tun.

In Berlin hat am 13. Juli ein Bürgerbegehren im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg über die Bebauung des Spreeufers stattgefunden, Slogan der Bebauungs-Gegner: „Media-Spree versenken“. Media-Spree e.V. ist ein Zusammenschluß von Hausbesitzern/Investoren, und Großkonzernen, wie  Anschutz, Hoch-Tief, Allianz,  die „Gegner“ und Initiatoren des Bürgerbegehrens sind ein Zusammenschluß einiger Bürgerinitiativen und Vereine. Sie finden die Namen im Internet unter www.ms-versenken.org.

Media-Spree e.V., der Investoren-Verein, gibt an, nur Gemeinnützige Zwecke fördern zu wollen und hat dem Vernehmen nach € 100.000,00 Steuergelder vom Senat (Regierung) von Berlin bekommen, die Bürgerinitiativen erhalten keinen Cent aus öffentlichen Mitteln für ihre Aufklärung.

Für die Neubebauung müssen alte Gebäude abgerissen werden. Die niedrigen Mieten in diesen alten Gebäuden haben bisher ein bestimmtes Publikum angezogen, wie Studenten, Lebenskünstler, Künstler unterschiedlicher Provenienz, Handwerker, Bastler, und natürlich auch den normalen „Berufstätigen“ bis zum HartzIV-Bezieher. Das Spreeufer, auch jetzt nur an bestimmten Stellen wirklich zugänglich, wird von den Bewohnern sehr individuell genutzt, so daß ein normaler Bürger fast keine Chancen hat, an der Spree spazieren zu gehen. „Menschenmischung“ und Umgebung gestatten ein „alternatives“ Lebensgefühl, welches sich im Bewußtsein von dem  „rein bürgerlichen“ Lebensgefühl unterscheiden soll.

Die Neubebauung soll fast ausschließlich aus Hochhäusern für Büro und Wohnung bestehen. Die Wohnungs-Mieten werden hoch sein. Der Spreeweg wird nur ein schmaler „Wanderweg“ sein. Wer im Zentrum von London an der Themse spazieren geht, bekommt ein städtebauliches Vorgefühl einer menschenfeindlichen Betonierung der ohnehin schon geschändeten Stadt-Landschaft.

Die Neubebauung soll flußabwärts, rechts, etwa zwischen Holzmarktstraße, Stralauer Platz, Mühlenstraße und Stralauer Allee, und   links zwischen Nördliche Lohmühleninsel, Cuvrystraße, Köpenicker Straße bis Brommystraße stattfinden.

In einem Text der Initiative „Media-Spree versenken“ heißt es u.a.: > Der Initiativkreis Mediaspree Versenken vertritt die Interessen derjenigen, die ein Spreeufer als Grün- und Kulturfläche mit vielfältigen Nutzungen wollen. Wir fordern einen Mindestabstand von 50 Metern zum Spreeufer für sämtliche Neubauten, die Einhaltung der Berliner Traufhöhe von 22 Metern und den Brommysteg statt der Straßenbrücke.  ... Die Planung von MediaSpree verspielt die historische Chance, ein Spreeufer mit hohen Freiflächenanteilen zu entwickeln. Das, was den Investoren an Freiflächen abgetrotzt wurde – ein Uferwanderweg von wenigen Metern Breite und sog. Pocketparks – ist für eine Millionenstadt viel zu wenig. Es geht um Profit – um möglichst viele und teure Ufer(an)lagen mit privatisiertem Spreeblick. Im MediaSpree-Konzept wird nur in den Hochpreissektor investiert, der soziale Bereich fehlt völlig. Die geplante „Aufwertung“ führt zur Ankurbelung der Mietspirale, die antisoziale Entwicklung Berlins wird vorangetrieben und Kultur vernichtet: der Oststrand, das Yaam und die Bar25 werden unter Bürokomplexen verschwinden. Auch wegen des Grundwasserabflusses darf der Uferbereich nicht mit Hochhäusern bebaut werden, weil die Tiefgründungen zu einem riskanten Ansteigen der Pegel führen würde. Wir wollen das Hochhaus-Monopoly Mediaspree „versenken“ für eine neue Diskussion über die Uferentwicklung. Wir wollen den Prozess demokratisieren, weil die Öffentlichkeit bisher mit vollendeten Tatsachen und Sachzwängen überrumpelt wurde. Es ist nicht zu spät: für die Industrieflächen auf der Kreuzberger Seite gibt es noch keine Bebauungs-Pläne und die Friedrichshainer Planungen können per BVV-Beschluß (Anmerk. D.K. BVV = Bezirksverordnetenversammlung) geändert werden. Das wollen wir mit unserem BürgerInnenbegehren erreichen. Den geschätzten „Schadensersatz“ von 165 Mio. Euro bei Umsetzung unseres Konzeptes sehen wir als einen virtuellen an. Zwei Drittel der bebaubaren Grundstücke entlang der Spree gehören dem Land Berlin, eine Entschädigung wäre kurios. Die privaten Eigentümer können sich z.B. mit Ersatzgrundstücken abfinden lassen, wie es immer den alternativen NutzerInnen angetragen wird. ... <.
Die unterschiedliche SchreibweiseMediaspree bzw. Media-Spree wird in den veröffentlichten Texten durcheinander benutzt. Das ist nicht meine Erfindung.
Media-Spree e.V., der Zusammenschluß von Hausbesitzern/Investoren und Großkonzernen, behauptet unwidersprochen, Bauvorbescheide zu besitzen und fordert vom Bezirksamt (Bezirksregierung) Entschädigungszahlungen, falls den Forderungen des Bürgerbegehrens stattgegeben werden.

In der Dokumentation finden Sie das Abstimmungsergebnis. Die Wahlbeteiligung von 19,1 % ist, gelinde gesagt, traurig gering, und irgendwie gelingt es mir nicht, der Siegesbegeisterung der Gruppe „Media-Spree versenken“ zu folgen. Formal ist es sicher richtig: die Bürgerinitiativen haben gewonnen.

Die Schicht der Menschen, die sich unmittelbar von Media Spree-Versenken haben ansprechen lassen, scheint sehr dünn zu sein. Das direkt-demokratische Bewußtsein der 80,9%, die nicht zur Wahl gegangen sind, scheint noch sehr unterentwickelt zu sein. Hinzu kommt der (linke) klassenkämpferische Ton der Bürgerinitiatve „Media-Spree-versenken“, besonders eindrucksvoll in den Flugblättern und auf der Webseite zu lesen. Der klassenkämpferische Ton könnte auf viele Bürger durchaus abschreckend wirken. „Klassenkämpfer“ wollen keine Direkte Demokratie; sie wollen entweder die „Diktatur des Proletariats“ oder eine  neoliberale und globalisierte „Diktatur des Geldes“. Sie bezeichnen sich selber bzw sie werden als links und/oder rechts bezeichnet. Sie haben eine deutliche Gemeinsamkeit: die Menschen- bzw. Bürgerverachtung. Ich nenne das manchmal Links- bzw. Rechtsfaschismus.

Eine neue Boden- und Geldordnung, vielleicht ein  „Bedingungsloses Grundeinkommen“ als sozialer Ausgleich, auf jeden Fall eine „Befreiung vom Krieg und Bürokratie“ mit all seinen Konsequenzen, und Direkte Demokratie gehören zusammen. Keines dieser Ziele ist alleine zu erreichen. Die Wege dahin werden ungeheuer steinig sein.

Der Bürgermeister des Berliner Verwaltungsbezirkes  Friedrichshain-Kreuzberg heißt  Franz Schulz und gehört der Partei Bündnis 90/Die Grünen an. Seine beiden Vorgängerinnen waren PDS-Mitglieder. Herr Schulz fühlt sich nicht an das Abstimmungsergebnis gebunden und führt eine Reihe von (rechtlichen?) Gründen an. Die Möglichkeit, die Bauvorbescheide erst nach einem Bürgerbegehren zu erteilen, waren da, wenn auch nur ein Funken politischer Wille vorhanden gewesen wäre. Selbst wenn zu diesem Zeitpunkt die Bürgerinitiative noch nicht existiert hätte, sollten Grüne und PDS in der Bezirksverordnetenversammlung auf die Idee gekommen sein, das Wahlvolk in Friedrichshain-Kreuzberg direkt zu informieren und zu befragen. Aber, es ist so, wie es ist: „Partei“ zu sein, heißt noch lange nicht, „Demokrat“ zu sein.  „Demokrat“ zu sein ist in Deutschland nach ca. 200 Jahren Gebrauch des Begriffes immer noch anrüchig. Früher war ein Demokrat ein Umstürzler, heute ist er ein Phantast, heute stört er die Klassenkämpfer von links und rechts.

Direkte Demokratie macht Arbeit, solange sie einem nicht „in Fleisch und Blut übergegangen“ ist.  „In Fleisch und Blut übergegangen“ heißt, daß demokratisches, mitmenschliches Handeln Vorrang im täglichen privaten und beruflichen Leben haben muß.

Dokumentation

Bezirkswahlamt Friedrichshain-Kreuzberg.
Bürgerentscheid in Friedrichshain-Kreuzberg am 13. Juli 2008.
Amtliches Endergebnis des Bürgerentscheides „Spreeufer für alle!“ .

Am 13. Juli 2008 wurde im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in einem Bürgerentscheid über die Fragen abgestimmt:

(A) „Stimmen Sie für das Ersuchen an das Bezirksamt

  1.    im Rahmen der Bebauungsplanung zu regeln, daß
  2.    - Neubauten nicht näher als 50 Meter an die Spreeseite im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg heranreichen (von Michael- bis Elsenbrücke einschließlich Lohmühleninsel) und
  3.    - keine neuen Hochhäuser zwischen Stadtbahn und Köpenicker/Schlesische Straße gebaut werden können.
  4.    darauf hinzuwirken, daß
  5.    - im Bezirk statt einer Straßenbrücke nur ein Rad-/ Fußgängersteg über die Spree gebaut wird.“

(B) „Stimmen Sie für folgendes Ersuchen an das Bezirksamt, bei der weiteren Gestaltung des Spreeraums im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zwischen Michael- und Elsenbrücke folgende Planungen und Grundsätze umzusetzen:

  1. Eine öffentliche, durchgängige Uferpromenade für Alle auf beiden Seiten der Spree mit zusätzlichen Uferparks.
  2. Keine Hochhäuser auf der Kreuzberger Spreeseite und Verzicht auf das vorgesehene Hochhaus auf dem Friedrichshainer Osthafengelände.
  3. Kein Bau einer weiteren Autobrücke (nur für den öffentlichen Personennahverkehr, Fußgänger und Radfahrer) über die Spree.
  4. Forderungen des Bürgerbegehrens (Abstand von Neubauten 50 m vom Ufer und keine Hochhäuser) soll das Bezirksamt nur insoweit verfolgen, wie dadurch keine Entschädigungen aus dem Bezirkshaushalt an Eigentümer zu leisten sind.“

(C) Wenn sowohl (A) als auch (B) die erforderliche Mehrheit erhält, welche Entscheidung würden Sie dann bevorzugen?

Abstimmungsbeteiligung
Abstimmungsberechtigte   187.437
Abstimmungsbeteiligung   34.935

Ein Bürgerentscheid erfordert nach § 47 Abs. 1 des Bezirksverwaltungsgesetzes (BzVG) eine Abstimmungsbeteiligung von mindestens 15 % der Wahlberechtigten der letzten Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV).

Wahlberechtigt zur BVV am 17. September 2006 waren im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nach dem amtlichen Wahlergebnis 182.592 Bürgerinnen und Bürger. Diese Abstimmungsbeteiligung von mindestens 15%, d. h. von mindestens 27.389 Bürgerinnen und Bürger, wurde erreicht. Sie liegt bei 19,1 %.

Abstimmungsfrage ( A )
Ja            29.786
Nein        4.540
Ungültige Stimmen              609

Abstimmungsfrage ( B )
Ja            14.874
Nein        18.545
Ungültige Stimmen              1.516

Abstimmungsfrage ( C )
( A )        26.727
( B )         7.656

ungültige Stimmen              552
 
     
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