Johannes Scholler - August 2008

   
 

Christentum und Islam im Erbstreit

 
     
 

(D.K.)  August 2008. In der gedruckten Ausgabe März/April des Kommentar- und Informationsbriefes NEUE POLITIK erschien, ebenfalls von Johannes Scholler, ein Beitrag unter der gleichen Überschrift. Dieser Beitrag wurde inzwischen vom Autor überarbeitet.

Die öfter vertretene Meinung, die von Rom im 8. Jahrhundert entsandten Missionare, unter anderem Bonifatius, haben den unvorbereiteten Germanen eine nicht zu ihnen passende Religion aufgepfropft, übergeht die Tatsache, daß die große Entscheidung um gut zwei Jahrhunderte früher fiel. Die gelegentlich gestellte Frage, warum das Christentum trotz großen zeitlichen Vorsprungs bereits in Arabien und Asien erworbenen Einfluß an den jüngeren Bruder Islam verlor, findet eine ähnliche Antwort.

Germanen, die am frühesten mit der christlichen Mission konfrontiert wurden, die Goten, nahmen die arianische[1] Form an. Es war Stolz, vor keinem menschlichen Wesen anbetend zu knieen. Des Frankenherzogs Chlodwig Verrat (mit 3000 Gleichgesinnten ließ er sich im Jahre 496 "rechtgläubig" = römisch = athanasianisch taufen[2], aus Gründen politischen Machtzugewinns den Stolz seiner arianischen Goten entwertend) lieferte die Westgoten dem römischen Machtanspruch aus. Chlodwigs Zeitgenosse, der Friedenskönig der Ostgoten, Theoderich, verteidigte den arianischen Germanenglauben. Doch das "rechtgläubige" (orthodoxe) Ostrom (Byzanz) hatte nach Chlodwigs Dammbruch den Weg frei, den ostgotischen Arianerglauben zu vernichten. Sie wehrten sich tapfer, doch im Jahr des Unheils 553 starb der letzte König der Ostgoten, Teja, mit seinen Mitstreitern, den Glauben der Väter gegen Ostroms Übermacht verteidigend.  (Auch arianischen Wandalen, Burgundern und Langobarden hatten ein ähnliches Glaubensschicksal wie den Goten. Diese aber erlitten den Verlust am tiefsten und kämpften am entschiedensten.)

Erst die Zerstörung des arianischen Christenglaubens ebnete dem alsbald aufsteigenden monophysitisch[1} orientiertemIslamdie Bahn. Was die Zerstörung des arianischen Christenglaubens bedeutete, sagt uns der Kirchenlehrer Salvianus um 450 mit seiner Schrift „De Gubernatione Dei VII § 108“ (Über die göttliche Lenkung) [3]. Die Entfaltung des im  arianischen Gedanken liegenden großen Potentials fiel aus der Hand germanischer Goten an aus arabischen Weiten heranstürmende Nomaden! Ostrom hatte in dämonisch anmutender Zerstörungswut das monophysitisch-prophetische Christusbild der Goten zerstört. Der kundige Historiker L. M. Hartmann (Ludo Moritz Hartmann, "Geschichte Italiens im Mittelalter“, Verlag Fr. Andreas Perthes, Stuttgart 1923.) vergleicht die damit einhergehenden Leiden und Verwüstungen auf italienischem Boden mit jenen im 30-jährigen Krieg 1618-48 in Deutschland. Byzanz (Ostrom) legte damit früh und ahnungslos den Grund zum eigenen Untergang 1451 durch Mohammed II. mit seinen islamischen Gotteskriegern. Das katholisch- wie evangelisch- athanasianische Christentum des Westens hielt stand; auch die "griechisch- und russisch-orthodoxe" Form des Ostens ... und das hinzugewonnene Christentum Amerikas und Australiens: alle in athanasianischer Form! Doch am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts wendet sich erneut das Blatt [4].

"Die Entfaltung des im arianischen Gedanken liegenden großen Potentials fiel aus der Hand germanischer Goten an aus arabischen Weiten heranstürmende Nomaden" wurde eben in Erinnerung gebracht. Was aber hätten mit römischer Kultur vertraute Goten daraus gemacht?![5] Die schmerzliche Frage blieb. Sie bleibt, es sei denn man besinnt sich in später, wenn nicht letzter Stunde!  Noch wird in allen christlichen Kirchen das athanasianische, das so genannte "nicaenisch- konstantinopolitanische"[6] Glaubensbekenntnis gesprochen, das den christlichen Völkern und damit der Welt nur allzu oft zu Verwirrung und Unheil gereichte und weiteres Unheil zu gereichen droht. Parlamente und Regierungen christlicher Staaten bekennen sich zur Pflicht, die ihnen Anvertrauten zu schützen und Schaden von ihnen zu wehren, doch sie vertrauen ihren athanasianischen Kirchen durch Konkordate staatliche Aufgaben an.. Können jene Regierungen und gesetzgebenden Körperschaften das noch verantworten, heute wenn - und wann -  die Zusammenhänge so klar vor aller Augen liegen? So klar auch vor den Augen wissen-wollender Christen, wenn sie die Trinitätsformel des Sprechers akzeptieren und das athanasianische Bekenntnis mit der Gemeinde sprechen. Ehemals konnte man nicht wissen, heute kann man es und ist verantwortlich.

Die Verstrickung bleibt, „es sei denn man besinnt sich in später, wenn nicht letzter Stunde“,  hieß es eben. Besinnt man sich das himmelstürmende öffentliche und offizielle Bekenntnis nicht länger hinzunehmen, dann wird der zum Schicksal gewordene verkannte Mann aus Nazareth in neuem, allen verständlichem und vertrautem Licht gesehen .... und das von Muslimen und Christen in gleicher Weise, die dann eher Brüder und Schwestern sich nennen, als in abgrenzender Weise Gläubige.

Im Koran wird der "Bote Allahs“ aus Nazareth  "Isa ben Marjam" genannt, und ein Muslim mag sagen, er habe ihn immer so gesehen. Dem wäre nicht so. Im Koran ist dem Reichen gesagt, durch Almosen genüge er seiner Pflicht dem Bedürftigen gegenüber. Doch ''Prophet Isa“ sagt (dem Sinn nach), der Bedürftige ist  dein Nächster und Bruder und Almosen ist nicht das Passende. Der Christ mag sagen, Paulus lehrte "Jesus Christus ist ohne Sünde", doch dieser lehnte ab als "gut" zu gelten; er wies den Lobredner zurück mit der Antwort "was nennst Du mich gut, nur Gott ist gut".

Besinnt man sich? Die Kirchengeschichte kennt solche Besinnungen, häufig in Orientierung am Urchristentum, die als Vorläufer angesehen werden können. Es wäre eine umfangreiche Studie. Hier sollen drei solche Bewegungen herausgegriffen werden:

  • Polnische, holländische, siebenbürgische „Unitarier“ seit dem 16. Jahrhundert,

  • Englische und nordamerikanische „Quäker“ seit dem 17. Jahrhundert,

  • „Jungdeutscher Orden“ im 20. Jahrhundert. Den 1920 gegründeten, 1933 vom nationalsozialistischen Staat gebannten und nach 1945 nicht wieder erneuerten Jungdeutschen Orden hier einzureihen, mag als unpassend angesehen werden, war diese Bewegung doch kirchenloyal und verstand eigenes Handeln als am Brudergedanken orientiertes „praktisches Christentum“. Am Urchristentum orientiert zu sein, was auch zum Untertitel „Volk gegen Kaste und Geld“ ihres Manifests (1927) paßt, dessen war man sich schon bewußt; nicht aber „heimwärts zu germanisch-arianischer Ketzerei“ sich zu bewegen. Einige aus dem Umfeld athanasianisch-sakramentalen Kirchenchristentums sahen schärfer und überzogen diesen Orden mit phantastischen Anschuldigungen, wie „Rückfall in vorchristliches Heidentum“, „heimliche Freimaurerei“, „Zerstörungswerk an katholischer Kirche“. Erstaunlich, daß dieser bemerkenswerten Erscheinung der Neuzeit, dem Phänomen Jungdeutscher Orden und dem Phänomen kompromißloser Gegnerschaft aus gehobenen kirchenchristlichen Kreisen, bisher weder von Historikern noch von Psychologen die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

    Der Gründer und „Hochmeister“ des Jungdeutschen Ordens, Artur Mahraun (1890-1950), verstand sich als Fortsetzer des Werkes  des Freiherrn vom Stein. Der andere Untertitel des Jungdeutschen Manifests „Sicherung des Friedens durch Neubau der Staaten“ bedeutet weg vom Klassenunterschiede nutzenden Parteienstaat hin  zum auf nachbarliche Bürgerschaften gestellten genossenschaftlichen Staat und damit „Übergang vom modernen politischen Massenmenschen zum Gemeinschaftsmenschen“. Mit dem Verschwinden des arianischen Christentums wird der Begriff „Tatchristentum“ für das öffentliche Leben und damit die Politik als nicht anwendbar angesehen, wenn auch nicht gern zugegeben. So verwundert es nicht, daß Mahrauns Wort „Politik ist die höchste Form der Nächstenliebe“ sogar in eigenen Reihen schwer einging. Die Tragfähigkeit des Konzepts des Jungdeutschen Ordens zu erproben, wurde bis heute nicht gewagt. Das Thema blieb tabu. Auskunft gewähren die Bücher „Die Republik der Nachbarn“ von Ernst Maste, Walltor-Verl.  Gießen (1957), „Der Jungdeutsche Orden“ von Klaus Hornung, Droste Verl. Düsseldorf (1958) und’10 Jahre Jungdeutscher Orden“, abrufbar bei Verlag NEUE POLITIK GmbH.

    Die Bewegungen der Unitarier und der Quäker wurden als Abkehr von der großen Mutter angesehen, und auch der  am Tatchristentum orientierte Jungdeutsche Orden mag so gesehen werden, fällt erst das Tabu.. Doch auch als Besinnung nach zu Chalkedon beschworener großer Abweichung können  die Bewegungen angesehen werden. Besinnt man sich am Ende auch bei der großen Karawane? Es ist heute wohl nicht mehr zu vermeiden.

[1] Athanasius (295-373) und Arius (ca 260-336). Beide in Alexandrien wirkend, führten die nach ihnen genannten Glaubenslehren an.

Arius betonte die menschliche Natur Christi (griechisch „monophysitisch“), welcher bei der Taufe im Jordan den „göttlichen Geist“ (den Logos) für sein besonderes „einmaliges Werk empfing“. In Unterscheidung zu anderen mit ihm Getauften wurde an vorbereitender Auswahl bei Mariae Empfängnis festgehalten (damals eine mit dem Taufgedanken verknüpfte Denknotwendigkeit im antiken Menschenbild; im derzeitigen „wissenschaftlichen Zeitalter“ geformtem Menschenbild ist solche „vorbereitende Auswahl“ eher in Zugehörigkeit zu bestimmter kultureller Tradition wie auch im ungeklärten Phänomen gewordener sprachgebundener Kreatürlichkeit des Menschen zu suchen).

Athanasius lehrte eine Doppelnatur (Mensch und Gott zugleich = „diphysitisch“) Christi. In Chalkedon 451 fiel die endgültige Entscheidung für die Richtung des Athanasius, nachdem es einige Male hin- und hergegangen war. Eine Vorentscheidung in athanasischem Sinne brachten die Konzile in Nicaea 325 und zu Konstantinopel im Jahre 381. Das dort beschlossene Glaubensbekenntnis mit der Kernaussage "eines Wesens mit dem Vater" gilt bis heute unter dem Namen "nicaenisch-konstantinopolitanisches Bekenntnis“. Der im Konzil zu Chalkedon 451 gefaßte Beschluß, das arianisch-christliche Bekenntnis als „Irrglauben“ zu verdammen, wurde nie mehr revidiert.; auch die lutherischen und anderen späteren Reformationskirchen revidierten nicht.

[2] Der später heilig gesprochene Bischof Remigius nahm die Taufe in der Kapelle von Reims vor. Über die Taufkapelle wurde später die bis heute kaum veränderte Kathedrale von Reims errichtet. Berühmt wurde der lateinisch gesprochene Taufspruch; in deutsch "Beuge Dich stolzer Sigamber, verbrenne, was Du angebetet hast, bete an, was Du verbranntest". Chlodwig hatte dem Bischof einigen Ärger gemacht, als er dem Brauch seiner "heidnischen" Väter folgend römisch-christliche Einrichtungen und Symbole zerstören ließ. Remigius' Taufspruch wird heute noch gerühmt. Das zeigt, mit einem Fuß steht man immer noch im alten Zeitalter. Im neuen Zeitalter ist die Devise "weder verbrennen noch anbeten".

[3] „Die Goten und Wandalen hängen zwar Irrlehren an“, (damit meint der katholisch-athanasianische Autor den arianischen Glauben der Goten und Wandalen), „aber an Sittenstrenge sind sie besser als unsere römischen Landsleute. So viel gilt bei jenen Sittenreinheit und Sittenstrenge, daß sie nicht nur selber die Ehe achten, sondern auch - wir sagen etwas Neues, Unglaubliches, Unerhörtes - die Römer auch sittenrein gemacht haben. Schämt euch eures Lebenswandels, Römer“, (pudealt vitae vestrae), „denn bei euch sind nur die Städte frei von Lastern, wo die Barbaren herrschen“ (in quibus barbari esse coeperunt; als Barbaren galten arianische Goten und Wandalen; einige deutliche Worte sind aus dem lateinischen Original beigefügt).
Zitiert aus „Monumenta Germaniae Historica“ /1/1]; 1,1 Bayer. Staatsbibliothek QK-Sign. 4 Germ..g.131 t, B-1,1.

[4] Im herangereiften Maschinen- und Atom-Zeitalter sind Religions- und Glaubensfragen ‘mit dem Schwert’ nicht mehr entscheidbar. Wie zu Gründerzeiten entscheidet das Wort in Kinderstube, Schule, Predigt, Buch und Lehre. Auf zehn meist junge Christen, die zum Islam konventieren, kommt heute (2008) noch nicht einmal ein gebürtiger Muslim, der den entgegengesetzten Weg ginge. Mehr noch: unter den großen Religionen ist der Islam die am meisten Wachsende.

[5] Gute Aussicht wäre für eine Lebens-, Denk- und Glaubensweise gewesen, die ein Bedürfnis zu Spaltung in paulinisch-christliche und mohammedisch-islamische Formen gar nicht hätte aufkommen lassen. Doch auf Dauer  läßt sich solche Lebens-, Denk- und Glaubensweise nicht aufhalten. Martin Buber mit seiner 1950 erschienenen Spätschrift "Zwei Glaubensweisen" arbeitete vor. Wir stehen sichtlich an der Wende. Die letzten Sätze dieses Textes sind diesem Morgen, der schon dämmert, gewidmet.

[6] Es kommt dabei nicht darauf an, ob das Bekenntnis im alten Sprachgewand abgelegt wird oder in mehr gefälliger nur scheinbar entschärfter neuer Form. Zwischen monophysitischer und diphysitischer Auffassung kann es von der Sache her keinen Übergang geben. Es bleibt das unbequeme entweder  oder.

von Johannes Scholler jscholler@special-net.de

 
     
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