Dieter Kersten - Juli / August 2006

   
 

„Zu Gast bei Freunden“

 
     
 

„Zu Gast bei Freunden“ - so steht es geschrieben, soll sich jeder fühlen, der dieses Land während der Fußball-Weltmeisterschaft betritt bzw. betrat. Jeder?

Der iranische Vizepräsident Mohammed Aliabadi ist im Juni zweimal (oder dreimal?) in Deutschland gewesen, um der Fußballmannschaft seines Landes den Rücken zu stärken. Er demonstrierte damit, daß Fußball auch in seinem Land, in einem muslimischen Land, einen hohen Stellenwert hat. Angesichts der medienwirksamen Auseinandersetzungen mit dem Iran um sein Atomprogramm und der Kriegsdrohungen durch die USA und Israel wäre es sinnvoll gewesen, wenn die Bundesregierung soviel diplomatisches Geschick und Unabhängigkeit aufgebracht hätte, diesen „Gast bei Freunden“ so zu empfangen, damit er Zuhause, in Teheran, hätte berichten können, daß wenigstens die Deutschen auf Augenhöhe bedacht und die Würde des Repräsentanten eines fremden Landes zu wahren bereit sind.

Nichts dergleichen geschah. Die Bundesregierung hat sich den Anweisungen der israelischen und us-amerikanischen Kriegstreiber gebeugt. Die Bundesregierung hat sich damit der Möglichkeiten beraubt, politisch-diplomatisch über seinen Stellvertreter den amtierenden iranischen Präsidenten Ahmadinejad auf seine Äußerungen über den Holocaust anzusprechen (Dezember 2005:"Der Mythos vom Massaker an den Juden ist von den westlichen Staaten erfunden worden, um mitten in der islamischen Welt einen jüdischen Staat zu errichten."). Wie wäre es denn gewesen, wenn die Bundesregierung ganz offiziell seinen Stellvertreter Mohammed Aliabadi eingeladen hätte, Stätten des Holocaust zu besuchen? Zum Beispiel Buchenwald in Weimar, wo Beides zu besichtigen ist: deutsche Schmach und kulturelle Leistungen des deutschen Volkes.. Das kann man nur machen, wenn man miteinander redet.

Die Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinejad über den Holocaust sind ja nur möglich, weil dieses Nachkriegsdeutschland, egal ob BRD oder DDR, es versäumt  hat, die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland und der Hitler-Herrschaft aufzuarbeiten. Ich bin überzeugt davon, daß die internationalen jüdischen Vereinigungen zwischen 1920 und 1945 alles unternommen haben, Palästina als ihr Siedlungsgebiet zu bekommen, egal, wer dort wohnt und wer dieses Land als seine Heimat bezeichnet. Ich habe im Kommentar- und Informationsbrief NEUE POLITIK schon oftmals die Familienerfahrungen und die eigenen Erfahrungen und Kenntnisse veröffentlicht. Ich verzichte daher auf die Details. Der jüdische Weltrat hat in den 12 Jahren der Nazi-Herrschaft seine Glaubensgenossen in Europa bewußt geopfert, um den Staat Israel  gründen zu können. Wir Deutschen sind trotzdem Täter und keine Opfer. Wir hätten das üble Spiel durchschauen müssen und können. Wir hätten unsere jüdischen Nachbarn verteidigen müssen. Wir sind stattdessen einem Hitler und seinen Schergen hinterhergelaufen, so wie  jetzt die Mehrheit Bush und den Globalisierungs-Heilsverkündern hinterherrennen. Wir sind auch jetzt wieder Täter in den internationalen Mordaktionen.

Es geht doch um die Verhinderung eines Krieges, der uns und das iranische Volk unter Umständen noch schwerer treffen kann als alle anderen Kriege vorher!

Es kommt noch folgendes hinzu: der Iran ist, immer noch, für Deutschland ein exzellenter Handelspartner. Der Iran hatte während der letzten Amtsjahre des damaligen iranischen Herrschers, Schah Mohammad Reza Pahlavi einen bedeutenden Anteil an der jetzigen Firma ThyssenKrupp erworben (vermutlich im Jahr 1978). Ab diesem Zeitpunkt saß  ein Regierungsvertreter des Irans, mindestens bis 2005,  im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp. Leider konnte ich nicht feststellen, warum Herr Dr. Mohamad-Mehdi Navab-Motlagh, damals (2005) Vizeminister für Wirtschaft und Internationale Angelegenheiten im Industrie- und Bergbauministerium der Islamischen Republik Iran am 21. Januar 2005 aus dem Aufsichtsrat bei ThyssenKrupp ausgeschieden ist. Auch die Web-Seite der Firma gibt darüber keine Auskunft. Es hat  nie Probleme zwischen den Staaten Iran und Bundesrepublik wegen dieser Beteiligung gegeben, geschweige denn mit und in der Firma ThyssenKrupp. Es hat nie außergewöhnliche Probleme in den Handelsbeziehungen beider Staaten gegeben. Alles lief völlig korrekt. Jedenfalls gibt es keine negativen offiziellen Äußerungen.

Angesichts dieses bedeutenden diplomatischen Fauxpas der Bundesregierung, die Anwesenheit des iranischen Vizepräsidenten in Deutschland zu ignorieren, nimmt sich der Vortrag von Kanzleramtschef Thomas de Maizière, über den Martin Rust berichtet, wie ein (Hilfe-)Ruf im dunklen Wald aus, wobei de Maizière noch nicht einmal bemerkt, daß er im dunklen Wald herumirrt und um Hilfe ruft. Wie soll Deutschland in Europa eine Führungsrolle übernehmen, wenn dieses Deutschland schon an so harmlosen Anforderungen eines Gespräches mit einem iranischen Vizepräsidenten scheitert?

Wie soll Deutschland eine Führungsrolle übernehmen, wenn es noch nicht einmal seine Geschichte verarbeitet hat? Wir müssen unsere devote Haltung gegenüber Israel aufgeben, wobei wir durchaus zu den Staaten gehören sollten, die Israel Bestandsschutz geben.

Zu einer Führungsrolle gehört ein Konzept, welches sich einerseits von dem politisch Üblichen verabschiedet, andererseits auch in der Lage ist, die Bürger in Deutschland und Europa mitzureißen.

Zu einer Führungsrolle gehört ein Konzept zur Wiederherstellung von Demokratie und Menschenrechten und für einen Ausbau direkter Demokratie und freiwillige Verpflichtung der Bürger, sich daran zu beteiligen, und für ein Abbau jeder Überwachung und von Bürokratie. Damit würde sich Europa wohltuend  von den Ländern und ihren Führern unterscheiden, die den  „Kampf gegen den Terror“ mit Folter, Überwachung und Einschränkung der Menschenrechte verbinden.

Zu einer Führungsrolle Deutschlands in Europa gehören Konzepte für eine Abkehr von einer Globalisierung, die erkennbar nur den Großkonzernen nutzt, die 2. und 3. Welt immer mehr in Hunger und Elend treibt, die Masse der Armen in der 1. Welt ständig vergrößert und die natürlichen Rohstoffe immer mehr ausbeutet.  Zu der Abkehr von der Globalisierung gehört auch ein  gerechter Ausgleich mit den Rohstoffländern.

Wir müssen eine Wirtschaftsordnung erfinden, die kein Wachstum mehr braucht. Wir erleben in diesen Wochen eine weitere, total falsche Weichenstellung in Deutschland in der so genannten Gesundheitsreform. Die Pharma- und Medizingeräte- Industrie übt auf Bundesregierung und Bundestag einen so harten Druck aus, daß der finanzielle Aderlass des Bürgers überaus groß sein wird. Anstatt z.B. zu verfügen, daß nur die niedrigen Preise für Arzneimittel und Geräte gezahlt werden, wie sie in einem beliebigen anderen Land verlangt werden, erklärt die Bundesregierung freiwillig die Bundesrepublik zum Hochpreisland. Deutschland ist damit ein Eldorado für die globalisierte Pharma- und Medizingeräte-Industrie. Hinzu kommt die bereits beschlossene „Gesundheits-Chip-Karte“ als umfassendes Überwachungsinstrument des Staates über seine Bürger, als Ergänzung zu allen anderen Chipkarten, die schon lange unterwegs sind und die, ohne daß sie sich für die Folgen interessieren, vom Bürger sogar angenommen werden. Zu einer Führungsrolle in Europa gehört es, immer zuerst für die Freiheit des Bürgers einzutreten.

Zu einem politischen Konzept und Führungsrolle gehört auch ein totaler Abschied von allem Militärischen. Die Rüstung ist ein Moloch, in dem der Fleiß und der Ideenreichtum der Menschen verschwindet.

Übrigens ist das, was den Europäern als „europäische Verfassung“ vorliegt, nach meiner Überzeugung keine  „echte“ Verfassung, sondern ein Gemisch von vermeintlich sachlichen politischen Absichtserklärungen. Sie enthält zum Beispiel ein Rüstungsgebot. Rüstung ist aber eine politische und keine verfassungsrechtliche Entscheidung.  Eine „echte“ Verfassung besteht aus den Bürger- und Menschenrechten, vielleicht noch aus Hinweisen auf die allgemeinen Rechtsnormen, ferner aus den Bestimmungen über die Gewaltenteilung („europäische Strukturen“) und natürlich aus den Bestimmungen über die direkte und indirekte Demokratie.

 
     
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