Martin Rust - Juli / August 2006

   
 

Dreimal Europa

 
     
 

In diesen Tagen klopfen Rumänien und Bulgarien nicht an die Tore des Hauses Europa, sondern mit tatkräftiger Hilfe einiger der Hausbewohner „drängeln“ sie sich hinein. Mit ihnen werden zwei weitere Entwicklungsgebiete in die EU aufgenommen. Schauen wir uns einmal aktuelle Aspekte und Problemlagen der EU  vor diesem Hintergrund kurz an.

Auf der Jahrestagung des Deutschen Freundeskreises des Mérite Européen am 6. März 2006 in Bonn sprach Dr. Christoph Konrad MdEP zum Thema „Europas Krise als Chance annehmen“. Unter anderem beschäftigte sich sein Vortrag mit der Frage „Wie groß soll die EU werden?“ Er wies darauf hin, daß schon jetzt mit 25 Mitgliedern die Arbeitsmöglichkeiten im Europäischen Parlament immer problematischer geworden seien. Die EU-Erweiterung vom Mai 2004 sei nur mit einem Kraftakt wie bei einer Unternehmensfusion zweier global player  vergleichbar. Und schon jetzt seien natürlich auch die Beobachter Rumäniens und Bulgariens in allen Gremien mit vollem Rederecht, nur noch ohne Stimmrecht, vertreten. Das reine Procedere dauere länger und länger und werde ineffektiver. Die Kernfrage bleibe aber natürlich, ob die EU den Weg zu einer politischen Union (weiter) beschreiten wolle oder sich zu einer reinen Freihandelszone entwickele. Wenn ersteres das Ziel sei, dann müsse nach Rumänien und Bulgarien Schluss sein mit der Erweiterung. Freundschaften zu Nachbarstaaten dürften nicht ausschließlich über eine EU-Mitgliedschaft definiert werden.

Von einer ähnlichen Warte ging Quentin Davies MP, im britischen Parlament „Chairman of the Conservative Group for Europe“, das Problem an. Davies ist im Unterschied zu manch anderen britischen Tories  ein bekennender Europäer. Sein Vortrag am 8. Mai 2006 im Europäischen Haus Unter den Linden zu Berlin trug den Titel „Britain and Germany: An Agenda for the EU for the next five Years“.  Im Bereich der europäischen Außenpolitik forderte er ein höheres Maß an Abstimmung und Koordination innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Zwar kommen aus der EU 55-60% der weltweiten Hilfsgelder, doch aufgrund mangelnder interner Kooperation und gemeinsamer Kontrolle der Verwendung verlaufe vieles davon im Sande. Obwohl er den Beitritt Rumäniens und Bulgariens begrüßte, forderte Davies doch klare geographische Definitionen für das, was die EU ausmache(n könne). Nur so könne der wachsenden Sorge der Menschen in EU-Europa über den Erweiterungsmechanismus Rechnung getragen werden. Davies warnte vor schweren Krisen, wenn bei zukünftigen geplanten Erweiterungen nur ein Land gegen den Kandidaten stimmen sollte und damit die Erweiterung scheitere. Europa benötige auch eine gemeinsame Linie für eine unabhängige Energiepolitik, insbesondere gegenüber dem russischen Staatsweltkonzern Gasprom.

Als Repräsentant eines derjenigen Staaten, die in den nächsten Jahren der EU beitreten wollen, sprach der moldauische Präsident Vladimir Voronin am 15. Mai 2006 in Berlin. Voronin ist Vorsitzender der Kommunistischen Partei, die – demokratisch gewählt – die Regierung führt. Sein Vortrag trug den programmatischen Titel „Die Republik Moldau auf dem Weg zur europäischen Integration“. Er bemühte sich durchaus sympathisch, Zweifel an der Unumkehrbarkeit des Weges der Republik Moldau hin zur EU zu zerstreuen. 80% des Bruttoinlandproduktes von Moldau werde durch private Unternehmungen erwirtschaftet und die Visapflicht für EU-Bürger werde zum 1. Januar 2007 aufgehoben. Während es vor der Regierungsübernahme durch die KP 2001 keine Probleme in den Beziehungen zwischen Moldau und Rußland gegeben habe, sei dies nun ganz anders, weil seither Moldau konsequent einen proeuropäischen Kurs steuere, u.a. dokumentiert durch diverse Reformmaßnahmen wie Steuersenkungen für Unternehmen, Einführung moderner Standards, Einsetzung einer Kommission zur Integration von Moldau in die EU etc. Mehr als 70% der Bevölkerung seien für die Integration in die EU. Etwa 200.000 Moldauer als moldauisch-rumänische Doppelstaatsbürger seien im übrigen denn ab nächstem Jahr deshalb auch schon EU-Bürger. Schließlich bestehe kein Widerspruch zwischen seiner kommunistischen Regierung und den Werten der EU – schließlich habe auch der italienische Eurokommunist Enrico Berlinguer in den 1970er Jahren eng mit den italienischen Christdemokraten zusammengearbeitet. Warum aber will Moldau unbedingt in die EU? Hier war Voronin entwaffnend ehrlich. Die Option für die EU sei für seine pragmatische Regierung der Weg, um der Armut in seinem Lande ein Ende zu bereiten. Der Prozess hin zur EU sei für ihn und seine (Regierungs-)Partei unumkehrbar, um sich aus der russischen Vorherrschaft zu lösen, die sich im moldauisch-russischen Konflikt über Transnistrien – die moldauische Provinz nördlich des Dnjepr – verdeutliche. Dort habe sich eine illegale postsowjetische Rüstungsindustrie entwickelt. Diese werde von Rußland und seinen Soldaten am Leben gehalten, habe die Provinz faktisch der nationalen Kontrolle der moldauischen Regierung entzogen und versorge die Welt mit ihren Produkten durch illegalen Waffenhandel und Waffenschmuggel mit einem Volumen von 2 Mrd. US-$ p.a. Die russischen Militäreinheiten in Transnistrien seien zehnmal stärker als die gesamte moldauische Armee. Soweit Voronin.

Wohlgemerkt: Wir haben nicht über den Beitritt der Türkei und über die EU-Verfassung diskutiert, nicht über das Ausmaß der sozialen Ausgestaltung der EU, nicht über die Ostsee-Pipeline und andere Kleinigkeiten, Fragen, die - wenn überhaupt - die EU-Bürger besonders betroffen machen. Wir haben „nur“ Probleme hinter dem unmittelbaren Horizont angesprochen. Zusätzlich sollten wir im Gedächtnis behalten, daß eine Etage höher in den internationalen Beziehungen die USA weiterhin daran interessiert bleiben, daß die EU und Rußland nicht zu enge Freundschaftsbande knüpfen. Andererseits soll Rußland aber auch nicht in die sich weiter öffnenden Arme Chinas getrieben werden, welches als Handelskonkurrent immer aggressiver in Südamerika und neuerdings auch im südlichen Afrika auftritt. Alles in allem: Schweres Fahrwasser für die EU also.

 
     
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