Götz W. Werner - Januar 2006    
 
Was bringt ein bedingungsloses Grundeinkommen?  
     
 

(D.K.) Der nachstehende Beitrag ist mir von Klaus-Michael Dreher zugeschickt worden. Es ist der Text eines Vortrages, den Götz W. Werner anläßlich der Einweihung des neuen Verwaltungsgebäudes der GLS-Bank 2005 gehalten hat.

Wovon frühere Generationen in unserem Land nur träumen konnten, ist Wirklichkeit geworden: Nie zuvor war eine so gute Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für die breite Bevölkerung möglich. Wir produzieren insgesamt - wenn auch nicht alle daran ausreichend teilhaben - mehr, als wir verbrauchen können; wir leben also in vergleichsweise paradiesischen Zuständen. Allerdings haben wir noch nicht genügend gelernt, damit umzugehen. Zunächst muß die enge Verkopplung von Arbeit und Einkommen, die die hohe Arbeitslosigkeit mit herbeigeführt hat, neu gedacht werden. Im herkömmlichen, rein erwerbswirtschaftlichen Arbeitsbegriff sind beide scheinbar notwendig miteinander verknüpft. In Wirklichkeit handelt es sich um eine überholte gesellschaftliche Konvention, die wir neu denken können: Das eine ist unser Einkommen, das benötigt wird, um unsere Bedürfnisse durch Konsum befriedigen zu können - und das andere ist unsere Arbeit, durch die wir uns in die Gesellschaft einbringen, um Leistungen für andere zu erzeugen. Die Voraussetzung für einen solchen möglichen Neuansatz ist jedoch ein grundsätzlicher Bewußtseinswandel über unser Verhältnis zur Gesellschaft und die Überwindung herkömmlicher Denkmuster.

Ein Grundeinkommen ist finanzierbar - und die Menschen würden trotzdem arbeiten
Gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, das hier angedacht und gefordert wird, werden vor allem zwei - platt verständliche wie gleichzeitig unzutreffende - Bedenken geäußert: Das wird die große Faulheit derjenigen auslösen, die ein solches Grundeinkommen beziehen, und: Das ist nicht finanzierbar.

Es soll sich beim Grundeinkommen aber gar nicht um ein „Reichmachen ohne Leistung“ handeln, es soll vielmehr gerade Leistung ermöglichen. Ein Grundeinkommen in der vorgeschlagenen Form senkt zunächst Opportunitätskosten selbstbestimmter Tätigkeit, da ein geringerer Teil des Einkommens als vorher aus einer Vergütung für „abhängige Beschäftigung“ besteht. Auf diese Weise hätten die Bürger mehr Zeit für die Familie sowie mehr Freiheit und finanzielle Sicherheit, die früher durch ein Lohneinkommen garantiert wurden und die zum Beispiel bei der Gründung einer Familie so entscheidend sind. Ein Grundeinkommen würde den Menschen auch größeren Freiraum für ein vielfältiges ehrenamtliches Engagement und für gesellschaftspolitische Mitwirkung in Gemeinwesensaufgaben geben wie auch für die Entfaltung unternehmerischer Initiativen, eine neue Unternehmensidee zur Marktreife zu entwickeln und Mitstreiter für deren Umsetzung zu finden.

Was aber ist mit den für die Gesellschaft notwendigen Tätigkeiten, die niemand tun will? Eine Antwort hierfür wäre, daß sie vielleicht sehr gut bezahlt werden müßten, weshalb in der Folge auch der Anreiz zu ihrer Rationalisierung stiege. Wenn es uns bisher gelungen ist, Tätigkeiten, für die der Einsatz menschlicher Arbeitskraft zu „teuer“ geworden ist, in Form von Maschinen und Methoden zu ersetzen - warum soll uns das nicht auch in Zukunft gelingen? Wir müssen Ersatz für Tätigkeiten finden, in denen Menschen keinen „Sinn“ in ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung mehr sehen. Zudem würde ein Grundeinkommen zunächst nur an Staatsbürger gezahlt; das Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland kann nicht gefordert sein, für Menschen außerhalb dieser Gemeinschaft ein Grundeinkommen sicherzustellen. Bürger anderer Staaten hätten aber immerhin verbesserte Aussichten, eine Beschäftigung in diesen Berufsfeldern - Stichwort Spargelernte - zu finden.

Der erste Einwand - die Finanzierbarkeit - verliert bei sorgfältiger Betrachtung seine Basis, auch wenn dies zunächst manchem überraschend erscheint: Zur Finanzierung eines Grundeinkommens bedarf es grundsätzlicher Änderungen im Steuerwesen. Unsere heutige, im Wesentlichen auf dem nominellen (geldlichen) Einkommen basierende, Steuererhebungsform der Einkommen- oder Ertragsbesteuerung geht auf eine Zeit zurück, in der ein Großteil der Menschen noch in subsistenzwirtschaftlicher Selbstversorgung lebte. In einer solchen Gesellschaft und Wirtschaft ist der Staat darauf angewiesen, die Bürger an ihren Einkommensquellen zu besteuern. Heute jedoch, da unser Wirtschaftsleben immer deutlicher zu einem Füreinander-Leisten geworden und von hoher Interaktion und Transaktion gekennzeichnet ist, wo der Einzelne nicht mehr beziehungsweise nur noch in geringem Maße, das konsumiert, was er selbst produziert, er also fast ausschließlich für andere leistet, ist dieses System nicht mehr zeitgemäß. Dies zeigt sich schon darin, daß die Entwicklung unserer Steuereinnahmen immer mehr zu einer stärkeren Besteuerung des Konsums tendiert. Woher sollen auch die Mittel kommen, wenn das abstrakt definierte Einkommen als breite Steuerbemessungsgrundlage immer weniger geeignet ist und die Haushaltseinnahmen wegbrechen? Die Umstrukturierung zu einem konsumbasierten Steuersystem ließe sich durch das schrittweise Herunterfahren der einkommensbasierten Steuern bei gleichzeitiger Anhebung der Konsumsteuern - die Mehrwertsteuer ist deren Haupttyp - realisieren.

> Man sagt uns: "Gegen den Neoliberalismus zu sein, ist wie gegen das Gesetz der Schwerkraft zu sein." - Nun denn! Nieder mit dem Gesetz der Schwerkraft <.

Subcommandante Marcos, 1998
Anführer der mexikanischen Rebellen, Zapatisten genannt
Eine ihrer zentralen Aussagen: "Wir wollen keinen Staat machen".

Fundstelle: eine Werbeschrift von medico international e.V. aus dem Jahre 2000.


Das Argument „mangelnde Finanzierbarkeit“ läßt sich vor allem damit entkräften, daß alle für die Zahlung eines Grundeinkommens erforderlichen Geldströme bereits fließen. Wenn in der Bundesrepublik die erhöhten Konsumsteuereinnahmen nicht unmittelbar in den allgemeinen Staatsetat fließen, sondern auch zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens herangezogen würden, könnten im gleichen Zeitraum die bisherigen Einkommensbezüge - Löhne und Gehälter sowie die Transferzahlungen des Staates - um den gleichen Betrag (pro Person) gesenkt werden.

Die damit ins Auge gefaßte substitutive Wirkung des Grundeinkommens hätte vor allem zwei Entwicklungen zur Folge. Zum einen könnten die Lohnkosten, die von den Unternehmen aufgrund der bestehenden Marktbedingungen an die Kunden weitergegeben werden, sinken: Das heißt, es würden auch die Nettopreise - tendenziell in gleichem Umfange - niedriger werden; dies führt bei gestiegener Konsumbesteuerung im Ergebnis zu etwa konstanten Bruttopreisen. Da die gesunkenen Löhne und Gehälter durch ein Grundeinkommen substituiert werden, bleibt die Kaufkraft erhalten. Zum anderen kann der Staat die bereits heute bestehenden Transferzahlungen an Bürger, in Form von Renten, Pensionen, Kindergeld oder Entlohnung seiner Angestellten, Politiker und Beamten, ebenfalls absenken, was zu einer Entlastung der öffentlichen Kassen führt. Der „Marsch in die „Konsumsteuer“ ist also nichts, vor dem wir uns ängstigen müßten, sondern nur eine Konsequenz der hervorragenden, von wachsenden Transaktionsvolumina begleiteten wirtschaftlichen Entwicklung unserer Gesellschaft. Es handelt sich um einen aufkommensneutral zu gestaltenden Umbau der Steuererhebung. Auch die Unternehmenssteuern können in diesem Zuge gesenkt und am Ende ganz abgeschafft werden. Dies scheint um so mehr geboten, als jede Besteuerung von Unternehmen letztlich auf dem Wege höherer (Netto)preise an die Kunden weitergegeben wird.

Eine weitere Konsequenz aus insgesamt zu erwartenden Produktivitätsgewinnen ist die Finanzierung eines Grundeinkommens, die es ebenfalls in Schritten umzusetzen gilt.

Wachsende Produktivität ermöglicht und erfordert ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Was sind die Alternativen? Wollen wir zu den Zeiten geringer Produktivität zurückkehren? So abwegig dies erscheinen mag, die Forderungen nach Niedriglohnjobs, nach Annahme von zumutbarer Arbeit - wobei hier die berechtigte Frage zugelassen sei: Zumutbar für wen? - und der Schaffung eines Niedriglohnsektors schlagen genau dies vor; ebenso wie die Aufforderung, Unternehmen sollten mit „stumpferem Bleistift" rechnen (Interview von Ulrich Thielemann in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 10./11./12. April 2004, S. 27: „Mit stumpferem Bleistift rechnen"), eine Erhöhung des Beschäftigungsgrades auf Kosten der Produktivität darstellt.

Wenn dies, wie in vielen Fällen heutiger Sozialpolitik, von einer faktischen Bevormundung der Bürger durch „administrative Verfahren“ begleitet wird und das System „dem Individuum nicht in jedem Falle die freie Berufs- und Konsumwahl offen läßt, verstößt [dies] gegen die menschlichen Grundrechte und richtet sich, wie die Erfahrung lehrt, zuletzt gerade gegen diejenigen sozialen Schichten, zu deren Schutz die künstlichen Eingriffe gedacht waren" (Ludwig Erhard: „Grundentscheidung für die Soziale Marktwirtschaft", in: Stützel, W., et al. Hrsg., Grundtexte zur sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart 1981, S. 40). Wer würde angesichts der Absurdität mancher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bei denen selbst die sinnlosesten Tätigkeiten mit der „Übung und Vorbereitung auf richtige Arbeit“ gerechtfertigt werden, noch an der Gängelung des Bürgers und dem gleichzeitigen Rückfall in niedrigere Produktivität zweifeln?

An der Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens kann sich auch erweisen, ob ein Staatswesen - freilich entgegen anders lautenden Beteuerungen - ein obrigkeitsstaatliches Selbstverständnis hat oder ob es ihm ernst ist mit der geforderten Freiheit und Selbstverantwortung des Bürgers. Der Staat sollte - auch durch ein funktionierendes Wirtschaftssystem - seine Bürger in die Lage versetzen, sie sich zu erarbeiten. Die derzeit diskutierten Alternativen scheinen darauf hinauszulaufen, den Bürger bei zunehmend produktiver Wirtschaft immer mehr an ein sozialstaatliches Gängelband zu legen, anstatt ihm durch ein Bürgergeld bürgergesellschaftliche Freiheit zuzugestehen, also eine freiheitliche Gesellschaftsordnung Realität werden zu lassen.

Freiheit bedeutet immer die Freiheit zur selbstbestimmten Gestaltung von Zeit, von Lebenszeit. Das kann und wird bei volkswirtschaftlich abnehmender abhängiger und weisungsgebundener Beschäftigung auch heißen, Zeit für selbstbestimmte Tätigkeit zu gewähren. Dies um so mehr, als in einem auf den effizienten Umgang mit Ressourcen - also auch der äußerst knappen Ressource Zeit - getrimmten Wirtschaftssystem völlig zu Recht auf den Einsatz von menschlicher Arbeit immer mehr verzichtet wird. Dazu ist ein verändertes Bewußtsein erforderlich, ein Bewußtsein auch von der historischen Einzigartigkeit und Tragweite der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen zwei Jahrhunderte. An dieser Stelle wird deutlich, daß ein bedingungsloses Grundeinkommen der entscheidende Baustein ist, um einige der Fragen zu beantworten, die ein als wohlstandsmaximierende Marktwirtschaft gepriesener Kapitalismus stellt, wenn immer deutlicher wird, daß das System in dieser Form für immer größere Teile der Bevölkerung wohlstandsreduzierend ist.

Mögliche Auswirkungen eines Grundeinkommens auf die Wirtschaft
Wir brauchen Güter und Dienstleistungen einzig und alleine für Menschen. Für die Herstellung dieser Güter und Dienstleistungen brauchen wir wiederum die Menschen. Was aber ist dabei Zweck und was ist Mittel? Die Antwort auf diese Frage scheint sofort klar. Was dies jedoch in der Konsequenz für die Gestaltung unseres Lebens und unserer von steigender Produktivität geprägten Wirtschaft bedeutet, müssen wir erst noch erkennen. Der Mensch wird mit seiner körperlichen Tätigkeit immer weniger zur Herstellung der von ihm benötigten Güter und Dienstleistungen gebraucht. Die Anforderungen an seine geistige Tätigkeit in Beruf und Gesellschaft aber steigen. Kurz: Der Mensch in der Produktion ist offensichtlich zunehmend ersetzbar, der Mensch als Konsument jedoch nicht. Dies zu erkennen hindert uns noch das Verständnis unserer „veralteten Finanzierungsverfahren" (Benediktus Hardorp: „Wir müssen unsere sozialen Einrichtungen neu justieren", in: Das Goetheanum, Nr. 28 2005, S. 3), denn immer noch reduzieren wir die Möglichkeit zum Einkommenserwerb allein auf die schwindende Erwerbsarbeit. Da auch diese, ebenso wie das Steuersystem, aus der Zeit früherer Unterversorgung stammt, bedarf es dringend der Anpassung - vor allem unseres Bewusstseins. Das scheint offenkundig zu sein.

Welche Auswirkungen hat ein in dieser Weise wirkendes Grundeinkommen für den Unternehmenssektor? Deutschland würde durch die Umstrukturierung des Steuerwesens eine „Steuer- und Investitionsoase“. Sinkende Nettopreise (siehe oben) wirkten förderlich auf den Export. Niedrige Lohnstückkosten würden den Standort Deutschland attraktiv machen. Zudem würden Arbeitsmarktreglementierungen wie Tarifrecht und Kündigungsschutz überflüssig und somit ein flexibler Arbeitseinsatz auf der Basis von Individualvereinbarungen möglich.

Die Zukunftsangst der Menschen und die Vorsorge- und Sparnotwendigkeiten würden reduziert. Dadurch stünde mehr Geld für Konsum zur Verfügung. Stimulierung von Selbstorganisation und Selbstverantwortung (Freiheit) wären die Folge. Zunehmend würden vor allem die als sinnvoll wahrgenommenen Arbeitsaufgaben gesucht und geleistete Arbeit würde den eigenen Intentionen in höherem Maße entsprechen und dadurch authentischer und letztlich auch effizienter werden. Es würde zusätzliches Potenzial für bezahlbare Kulturarbeit, Bildungs- und Pflegearbeit (Arbeit direkt für den Mitmenschen und am Mitmenschen) entstehen und ein immenser Impuls für Wissenschaft und Forschung ebenso wie für unternehmerische Initiative freigesetzt.

Wie gezeigt wurde, ist das bedingungslose Grundeinkommen dazu geeignet, die scheinbaren Gegensätze von hohem Einkommen, steigender Produktivität und niedrigen Löhnen zu überwinden. Zudem würde es „aus dem Schlagwort „Freiheit“ eine Realität machen [...]" ( Erich Fromm,: „Psychologische Aspekte eines garantierten Einkommens für alle", in: Erich Fromm, Gesamtausgabe in zwölf Bänden, Band V, München 1999, S. 311). Die Zukunft der Demokratie setzt auf freie Bürger. Eine Gesellschaft und ein Staatswesen, denen es mit dieser Freiheit ernst ist und für die Freiheit nicht nur das Abgeben von Verantwortung an den Bürger ist, kann die Augen vor den Möglichkeiten eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht verschließen. Um so weniger in einem Wirtschaftssystem, das so sehr Zeit an Geld koppelt wie das unsrige.
Gerade heute sind die Chancen für diese Freiheit aufgrund unserer hohen Produktivität größer denn je. Ergreifen wir sie!

 
     
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