Dieter Kersten - Juni 2005    
Arthur Brauner und die traurige Wahrheit  
     
 

Arthur Brauner, Groß-Mogul der Alt-West-Berliner (Frontstadt-) Filmwirtschaft und aus dieser Zeit auch vielen Berlinern als rigoroser Vermieter bekannt, hat in der Berliner Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL vom 8. Mai eine ganzseitige Anzeige veröffentlicht, in der er 163 Nobelpreisträger jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft aufzählt. Mal abgesehen davon, daß der dazugehörige Text wirr ist - er hat natürlich als bekennendes Mitglied der deutsch- jüdischen Gemeinde zu Berlin sein gutes Recht, dies und das zu tun. Ich nehme mir das Recht, die Aufstellung in dieser Anzeige einigen wenigen kritischen Betrachtungen zu unterziehen, unvollständig selbstverständlich.

Die meisten der genannten 163 Nobelpreisträger waren und sind keine Deutschen jüdischen Glaubens oder Herkunft. Zwei "deutsche" Namen fielen mir aber sofort auf, die ich mit Menschenrechts- bzw. Kriegsverbrechen in Verbindung bringe: Fritz Haber (1868-1934) und Albert Einstein (1879-1955).

Fritz Haber erhielt 1918 zusammen mit Carl Bosch (nicht jüdischer Abstammung bzw. Glaubens) den Nobelpreis für Chemie für die Synthese von Ammoniak und Albert Einstein 1921 den Nobelpreis für Physik für seine Beiträge zur Quantenphysik.

Haber und Einstein waren gute Freunde.

Haber konvertierte 1893 vom jüdischen zum protestantisch-christlichen Glauben. Er war Patriot und Militarist durch und durch. Seine Versuche am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie mit Phosgen und Chlorgas (ein Abfallprodukt aus der Farbproduktion der chemischen Industrie), die schon wenige Wochen nach Beginn des 1. Weltkrieges begannen, machte er gegen den Willen seiner ersten Frau Clara, geb. Immerwahr, die selbst promovierte Chemikerin war. Durch diese Versuche wurde er zum Vater der Giftgaswaffen, die von Deutschland im 1. Weltkrieg eingesetzt wurden. Nicht einmal der Selbstmord seiner Frau mit seiner Dienstwaffe, wenige Tage nach dem ersten deutschen Giftgas-Einsatz am 22. April 1915 in Ypern, hielt Haber davon ab, den Giftgas-Einsatz an der Front weiterhin selbst zu organisieren und die Wirksamkeit zu überwachen. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Haber aufgrund des Verstoßes gegen die Haager Landkriegsordnung von den Alliierten wegen Verbrechen gegen die Menschheit zum Kriegsverbrecher erklärt und floh vorübergehend in die Schweiz.

Manche Verbrechen sind eben keine Verbrechen, zumal dann, wenn die kriminellen Impulse von der wirtschaftlichen und politischen Klasse, egal welcher Nation, unmittelbar gebraucht werden.

Fritz Haber kehrte nach Deutschland zurück und wurde bei der Gründung der IG Farben 1925 eines ihrer Aufsichtsratsmitglieder. Die IG Farben waren später maßgeblich an der Produktion und Lieferung der Giftgase beteiligt, die in Auschwitz u.a. gegen Mitbürger jüdischen Glaubens zum Einsatz kamen. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an den Kaiser-Wilhelm-Instituten den Arierparagraphen durchsetzten und die jüdischen Mitarbeiter entließen, was auch Haber nicht verhindern konnte, ließ er sich resignierend 1933 in den Ruhestand versetzen. Er emigrierte 1933 nach Cambridge, wohin er noch einen Ruf an die Universität erhalten hatte und starb kurz danach 1934 auf der Durchreise in Basel.

Es gibt nicht nur in Berlin ein Fritz-Haber-Institut, sondern auch ein Fritz Haber Center for Molecular Dynamics Research in Israel. Mich wundert das nicht.

Ruhm und Ehre denjenigen, die in christlich- jüdischer Zusammenarbeit Massenvernichtungswaffen erfinden, entwickeln und anwenden. Jeder, der sich in diesem Zusammenhang gegen das gewaltsame Töten von Menschen wendet, kann als Antisemit denunziert werden!!

Daß Albert Einstein ein Pazifist gewesen sein soll, das bezweifle ich. Er war nicht nur persönlicher Freund von Fritz Haber, sondern er hat sich im 1. Weltkrieg, als beide im gleichen Haus ihre Arbeitsstätten hatten, dem Treiben von Haber nicht entgegengestellt. Einstein hat die Kampfgasaktivitäten seines Freundes schweigend akzeptiert, so wird uns Nachgeborenen berichtet. Später hat Einstein den Bau der Atombomben in Los Alamos gefördert. Fast alle Wissenschaftler in Los Alamos waren übrigens Menschen jüdischer Abstammung bzw. jüdischen Glaubens. Es wird berichtet, daß Einstein sehr betroffen über den Einsatz der Atombomben in Japan war. Eine sehr späte Betroffenheit, die den toten und verletzten Menschen in Hiroshima und Nagasaki und deren Nachfahren nicht mehr half oder hilft. Die Betroffenheit des Herrn Einstein macht die ungeheure, todbringende, unverzeihliche und fast kriminelle Naivität eines angeblich so klugen Wissenschaftlers sehr deutlich!

Arthur Brauner sollte also vorsichtig sein. Jüdischer Abstammung oder Glaubens zu sein, ist kein Freibrief für ein gesellschaftliches, moralisches Versagen. Es wirft eher Fragen nach dem gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Anteil der Menschen jüdischer Herkunft und Glaubens an den Fehlentwicklungen der deutschen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert auf. Was ist z.B. mit den patriotischen preußisch-deutsch-nationalen jüdisch-gläubigen Offizieren des 1. Weltkrieges, die den einfachen deutschen Rekruten bzw. Soldaten den "inneren Schweinehund", nämlich u.a. die zaghaften Ansätze von Pazifismus ausgetrieben haben? Diese jüdisch-gläubigen Patrioten waren noch 1933 auf ihre Hohenzollernorden und Eisernen Kreuze stolz. Was für eine Verantwortungslosigkeit, für die wir alle büßen müssen.

Es geht mir nicht um das Abschieben von Verantwortung für einen deutschen Antisemitismus und dessen Folgen, es geht mir um die Feststellung einer Mitverantwortung deutsch-jüdischer Bürger an einer gesell-schaftspolitischen Entwicklung, die im Holocaust endete - wie u.a. die Fälle Haber und Einstein zeigen.

Was ich über Albert Einstein geschrieben habe, werden viele von Ihnen als eine ungeheure Provokation empfinden. Das soll auch so sein. Natürlich ist Einstein auch für den Frieden eingetreten, nach Hiroshima und Nagasaki, nach dem 1. und 2. Weltkrieg mit weit über 60 Mllionen Toten und nach der Vernichtung vieler kultureller und materieller Werte. Einstein wird in den meisten Berichten als besonders friedensfähig beschrieben, insbesondere während seiner Lebenszeit in den USA. Es gibt darüber sehr viele eindrucksvolle Dokumente. Nur mit den Deutschen wollte er nichts mehr zu tun haben, obwohl er hauptsächlich in Deutsch schrieb und vermutlich dachte. Wollte er auch postum nichts mehr mit seinem deutsch-patriotischen Freund Haber zu tun haben? Da scheint uns Nachfahren nichts übermittelt worden zu sein.

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat