Günter Rahm - Info-Dienst Aufklärung e.V. / März 2004    
Was ich unter Definitionsmacht verstehe  
     
 
Unter "Definitionen" versteht man laut Fremdwörterbuch die "genaue Bestimmung des Gegenstands eines Begriffs durch Auseinanderlegung und Erklärung des Inhalts."

Ich bin zwar kein Akademiker, aber mir ist klar, daß eigentlich jede Wissenschaftlichkeit mit der Verständigung über grundlegende Begriffe beginnt, um gegenseitige Mißverständnisse zu vermeiden.

Wenn jemand z. B. jegliche Neuerung als "Fortschritt" betrachtet, obwohl schon Johann Gottfried Herder längst klugerweise darauf hingewiesen hat, daß man als Fortschritt nur bezeichnen kann, was zu mehr Humanität führt, dann wird das Problem deutlich: Wer hat die Macht, wer nimmt sich das Recht heraus, den Inhalt von Begriffen zu definieren? Schon an diesem kleinen Beispiel ist ersichtlich, daß es sich um ein fundamentales Problem der Wahrheitsfindung, wissenschaftlicher Kommunikation und von hoher geistig-philosophischer, praktisch-politischer Bedeutung handelt und welche katastrophalen Folgen die Verfälschung des Begriffs "Fortschritt" im bürgerlich-kapitalistischen Sinne gesellschaftlich gehabt hat.

Ein anderes Beispiel: Was ist Humanität? Was ist Humanismus? Der Aggressionskrieg gegen Jugoslawien wurde in den konservativen Medien als "humanitärer Interventionskrieg" definiert. Doch scheinbar habe ich einen anderen Begriff. Offensichtlich wird hier ein positiver ethischer Grundwert für manipulatorische Zwecke mißbraucht, denn "humanistische Kriege", ausgenommen vielleicht ein Verteidigungskrieg, kann es nicht geben.

Kein Geringerer als Prof. Klemperer, ein Romanist, wies in einer Schrift des Kulturbundes der DDR mit dem Titel "Kämpferischer Humanismus" einleitend darauf hin, daß der Begriff "Humanismus" im Lateinischen zwei sprachliche Wurzeln hat, nämlich sowohl "homo" (der Mensch - worunter die alten Römer allerdings in definitionsherrlicher Machtvollkommenheit nur Männer verstanden), aber auch "humus" (die Erde, der Boden). Alles, was sowohl dem Glück und der Entwicklung des menschlichen Individuums förderlich ist, aber auch sinnvolle Nutzung und nachhaltige Pflege des Bodens durch den Menschen sind demnach Inhalt des Begriffes Humanität, was vielen nicht bewußt ist, weil für sie der Begriff Humanismus nur verallgemeinernd "Menschlichkeit" bedeutet, worunter ich mir alles mögliche vorstellen kann.

Zudem bringt dieser Begriff Humanismus auch zum Ausdruck, daß der Mensch nicht nur ein gesellschaftliches Wesen ist, sondern auch Teil der Natur ist, wovon man die Notwendigkeit realistischer, erdverbundener Denkweise ableiten muß. Indem ich also den Begriff Humanismus "auseinanderlege", seine sprachlichen Wurzeln untersuche, kann ich davon konkret die Bedeutung des Begriffs ableiten.

Als Aufklärer, der nach der Devise handelt "habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen", nehme ich mir das Recht heraus, z. B. diesen Begriff zu definieren, aber ich stelle meine Definition nicht als unabänderliche Wahrheit hin, sondern stelle meine Definition zur Diskussion, denn Definitionen bedürfen der grundlegenden Erörterung und Präzisierung.
Wir dürfen die Definitionsmacht, nämlich das Recht, Begriffe zu definieren, nicht Scharlatanen, Wortverdrehern und Lügnern überlassen. Denn es ist natürlich von größter gesellschaftlicher Bedeutung, daß dieser wichtige, aber auch häufig mißbrauchte und diffamierte Begriff (Humanitätsduselei, humanistische "Schwärmerei") wissenschaftlich und möglichst präzise definiert wird.

Manche behaupten, daß "Humanismus" weiter nichts als eine Mythologie, ein Märchen, eine Phantasterei, ein verschwommener Begriff für spinnerte Idealisten sei, mit dem man nichts Ernsthaftes anfangen könne.
Begriffsverwirrung, mißbräuchliche Verwendung edler Begriffe für hinterhältige Lügen, Manipulierung mit Hilfe von Worten ist ja eine beliebte Art der Volksverdummung. Da ist von "Reformen" die Rede, die gesellschaftlichen Rückschritt und soziale Abzockerei verschleiern oder rechtfertigen sollen. Interessant ist, daß die USA meines Wissens dem von der UNO definierten Begriff "Aggression" nicht zugestimmt haben. Die wissen natürlich genau warum.

Die Nazis nannten sich "Nationalsozialisten". Sie gaben vor, national und sozialistisch zu sein, obwohl sie nationalistisch -chauvinistisch und Knechte von kapitalistischen Großbanken und imperialistischen Konzernen und Militaristen waren. Noch heute werden sie in der Bundesrepublik in den Geschichtsbüchern als "Nationalsozialisten" bezeichnet, nicht als Faschisten, Willensvollstrecker des Großkapitals.

Auch der Begriff "Faschismus", von vielen verwendet, ist nicht klar definiert. Entstanden ist der Begriff laut Agnoli in Süditalien. Großgrundbesitzer, deren rechtlose Landarbeiter am Ende des 1. Weltkrieges Landbesetzungen vorgenommen hatten, warben unter den heimkehrenden Kriegsgefangenen Söldner an, bewaffneten sie und bildeten sie aus, um, nationalistisch getarnt, diese Landbesitzer, ihre eigenen "Klassengenossen" vertreiben und umbringen zu lassen. Heute noch lebt diese Tradition in Süd- und Mittelamerika fort in Form der Todesschwadronen.

Die "Fascis" waren ein Geheimbund, finanziert und initiiert durch Großgrundbesitzer, die natürlich schlau im Hintergrund blieben. Ähnlich in Deutschland, wo das Großkapital Hitler an die Macht brachte, die Demokratie zerstörte, die gefährlichsten Gegner imperialistischer Revanchepolitik einsperren oder umbringen ließ, aber sich selbst die Hände nicht schmutzig machte, um ungestört die Wiederaufrüstung und die Vorbereitung des 2. Weltkrieges durchführen zu können, natürlich unter ständigen Friedensbeteuerungen.

Dimitroff definierte Faschismus als die "offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals mit dem Ziel der Erhaltung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Ferner stellt das Lexikon des VEB Bibliographischen Instituts Leipzig von 1954 fest: Der Faschismus stützte sich ideologisch auf die Rassentheorie und verfolgte die Politik der Vorbereitung und Durchführung von Eroberungskriegen zur Unterjochung unabhängiger Völker und Errichtung der Weltherrschaft der imperialistischen Bourgeoisie.

In der Bundesrepublik wird diese Definition regierungsamtlich als falsch bezeichnet. Auf alle Fälle ist durch diese wenigen Beispiele schon bewiesen, wie hoch brisant das Thema "Definitionsmacht" ist. Wer die politische Macht hat, macht auch die Definitionen, und wir ersehen daraus, daß Definitionen den jeweiligen Wissensstand, aber auch den politischen Standpunkt des Definierers zum Ausdruck bringen.

Wenn ich für die basisdemokratischen Kräfte auch den Kampf um Definitionsmacht fordere, dann geht es uns dabei um Wahrheitsfindung. Darum, daß Begriffe nicht zur Manipulation und Irreführung mißbraucht werden, sondern im Sinne der Aufklärung wissenschaftliche Grundlage für Diskussionen und Verständigung werden.

Verfolgte nicht auch Diderot mit seiner Enzyklopädie, die natürlich weit über Begriffsbestimmungen hinausging, dieselbe Absicht, indem Begriffe nach fortschrittlichem, bürgerlichem Verständnis neu definiert wurden - nämlich den Feudalen die Definitionsmacht zu entreißen?

Wenn ich dieses Problem zur Sprache bringe, dann nur, um Denkanstöße zu geben. Meine wenigen Beispiele könnte man noch eine Menge anderer hinzufügen: Staat, Demokratie, Gut und Böse, Politik, Linke, Volk, usw.
 
     
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