Dr. Gerhard Schmidt - November / Dezember 1998    
1955 bis 1990
35 Jahre unnötiger deutscher Spaltung
 
     
  Der 13. August 1961 als schwarzer Tag der deutschen Geschichte.
Vor 37 Jahren wurde am 13. August die Berliner Mauer errichtet. Die Spaltung Deutschlands wurde damit auch nach außen hin endgültig vollzogen. Zu viele Menschen waren aus der DDR in den Jahren zuvor über West-Berlin in den Westen geflohen. Hätte die Fluchtbewegung angedauert, wäre die Wirtschaft der DDR zusammengebrochen, was die sowjetische Besatzungsmacht natürlich nicht dulden konnte. Daß es zum schwarzen Tag der deutschen Geschichte gekommen war, lag jedoch letzten Endes an den Zentralfiguren der deutschen Spaltung, nämlich an Konrad Adenauer (CDU) und Walter Ulbricht (SED). Sie bedingten sich gegenseitig und konnten sich insgeheim aufeinander verlassen, wie der unabhängige Publizist und unermüdliche Streiter für die deutsche Einheit, Wolf Schenke, immer wieder feststellte. Ist das nicht eine ungeheuerliche Behauptung? Adenauer und Garant der deutschen Spaltung? Wie das?

Initiativen der Sowjets zur deutschen Wiedervereinigung aufgrund der russischen Staatsräson (1952 bis 1955)
Anfang der 50er Jahre zeichnete sich für die Sowjetunion eine beunruhigende Stimmung ab: 400.000 deutsche Soldaten mit Rußlanderfahrung an der Seite der amerikanischen Atommacht und die drohende Remilitarisierung Westdeutschlands konnten die Russen schon um den Schlaf bringen. Da wagte Stalin einen Befreiungsschlag: In seiner Note vom 10. März 1952 machte der sowjetische Diktator ein für uns Deutsche geradezu traumhaftes Angebot, nämlich Wiederherstellung der deutschen Einheit, Abzug der Besatzungstruppen innerhalb eines Jahres nach Abschluß eines Friedensvertrages, keinerlei Wirtschafts- und Handelsbeschränkungen, Gestattung einer 300.000 Mann Armee, wenn auch ohne Abc-Waffen, für das 357.000 qkm große Rumpfdeutschland (zum Vergleich: Im Versailler Diktat von 1919 war dem 470.000 qkm großen Deutschen Reich nur eine Reichswehr von 100.000 Mann zugestanden worden). Einzige und an sich leicht zu erfüllende Bedingung: Das wiedervereinigte Deutschland durfte keinem Militärbündnis beitreten, das gegen einen ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands gerichtet sei, d. h., daß es blockfrei bleiben müsse. Da Adenauer Verhandlungen über die Stalinnote ablehnte, besserten die Russen nach: Auf der Berliner Außenministerkonferenz vom 25.01. bis zum 18.02.1954 boten sie zusätzlich noch den Verzicht auf Reparationen an (geradezu unglaublich, wenn man bedenkt, daß BRD und DDR von 1945 bis 1990 ca. 300 Milliarden DM an Reparationen bezahlt haben) sowie die Nichtbindung aller Abmachungen der beiden deutschen Teilstaaten (also u. a. auch die Vereinbarung zwischen DDR und Polen vom 06.07.1950 über die sog. "Oder-Neiße-Friedensgrenze", über die lt. Spiegel Nr. 24/1983 nach Äußerungen des russischen Hochkommissars Wladimir Semjonow in Gesprächen mit bürgerlichen DDR-Politikern das letzte Wort noch nicht gesprochen war). Den letzten Streitpunkt räumten die Russen im Januar 1955 aus, indem sie sich mit gesamtdeutschen freien Wahlen unter internationaler Kontrolle einverstanden erklärten. Alle diese Zugeständnisse machten die Sowjets, ehe es zu ernsthaften Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung gekommen war. Bedauerlich für uns Deutsche hatten die Russen keinen Erfolg damit. Adenauer paukte am 8. Mai 1955 im Bundestag den NATO-Beitritt durch, was die Russen am 14. Mai 1955 mit der Gründung des Warschauer Paktes (einschließlich der DDR) beantworteten. Die Chance zur Wiederherstellung der deutschen Einheit war von Adenauer (absichtlich, wie sich später herausstellte) vertan worden. Die nächste Chance wurde wenigstens von Helmut Kohl 1990 wahrgenommen. Die Spaltung Deutschlands hatte damit leider und unnötig 35 Jahre zu lange gedauert, mit verheerenden Folgen für die ehemals blühende mitteldeutsche Wirtschaft und die geistig-seelische Verfassung der Menschen im östlichen Teil unseres Landes.

Adenauer und Ulbricht, die geheimen Spaltungspolitiker
Ehe die Westmächte die an sie gerichtete Stalinnote vom 10.03.1952 beantwortet hatten, verwarf Adenauer schon sechs Tage danach am 16.03.1952 in Siegen vor evangelischen Frauen diese Note als einen "Fetzen Papier", das wenig Neues bringe, sich gegen die Westintegration richte und Gesamtdeutschland neutralisieren wolle. Neutralisierung aber würde das freie Deutschland zusammen mit der Ostzone in die Sklaverei führen. Die Westmächte verhielten sich abwartend. Aber wenn sie gelegentlich Neigung zeigten, über die Wiedervereinigung unseres Landes zu verhandeln, setzte Adenauer alles daran, sie davon abzuhalten, mit Argumenten wie "Störfeuer, um uns vor dem Eintritt in ein starkes westliches Lager abzuhalten", Neutralisierung wäre Selbstmord", "Europa würde russisch werden". Zum wiedervereinigungsfreundlichen französischen Ministerpräsidenten Mendés-France erklärte er laut Newsweek vom 30.08.1954: "Sie verlieren nichts, wenn sie die deutsche Wiedervereinigung opfern, aber ich. Doch wir " (hier sprach Adenauer wohl im Pluralis Majestätis) "sind bereit, sie zu opfern, wenn wir in ein starkes westliches Lager eintreten können." Wie der Abteilungsleiter am Deutschen Historischen Institut in London, Joseph Forschepoth, feststellte, hat Adenauer 1955 in einer streng vertraulichen Mitteilung dem britischen Außenministerium erklärt, er habe kein Vertrauen in das deutsche Volk. Er fürchte, daß eine künftige deutsche Regierung unter Führung der Sozialdemokraten sich eines Tages mit Rußland auf Kosten Deutschlands verständigen könnte. Folglich sei er der Meinung, daß die Integration Westdeutschlands in den Westen wichtiger als die Wiedervereinigung sei. Über die Geheimhaltungsbedürftigkeit heißt es weiter, daß es natürlich ganz verheerend für seine (Adenauers) Stellung sein würde, wenn die hier offen mitgeteilten Ansichten in Deutschland bekannt würden (Nordwestzeitung OL vom 13.03.1986). - Stand diese Haltung im Einklang mit dem Amtseid Adenauers, wonach er sich verpflichtete, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren und es vor Schaden zu bewahren? Verstieß Adenauer damit nicht auch gegen die verpflichtende Bestimmung der Präambel des Grundgesetzes, wonach das gesamte deutsche Volk aufgefordert bleibt, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden?
Im Bundestagswahlkampf 1953 ließ sich Adenauer auf Wahlplakaten mit erhobener Schwurhand und den Worten abbilden:" Diesen Schwur lege ich ab für das ganze deutsche Volk: ´Wir werden nicht ruhen und nicht rasten, bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit`". Wahrlich ein geradezu klassisches Beispiel einer Wahlkampflüge, bei der ein sogar beschworenes Versprechen und das tatsächliche Handeln diametral auseinanderklafften! Aber ein Wahlvolk - und das wohl nicht nur in Deutschland - will offenbar verdummt werden. Es glaubt Wahllügen, die mit überzeugender Stimme und großen Medienaufwand als Wahrheit verkauft werden. Hirtenbriefe der römischen Kirche taten ein übriges. Als man im September 1956 den vier Mächten mit großem propagandistischen Aufwand ein Memorandum zur Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit gab, beschwichtigte der Adenauer-Vertraute Prof. Wilhelm G. Grewe die Westmächte, daß das nicht so ernst zu nehmen sei. Es müßte nur der Austausch von Noten bis zur Bundestagswahl (1957) fortgesetzt werden, um den Eindruck zu erwecken, daß die Regierung aktiv die Wiedervereinigung betreibe. Der Franzose Francois Poncet erkannte schon 1953: "Einer der größten Fehler der Deutschen ist, nicht glauben zu wollen, daß ihre Regierung auch lügen kann." Dabei war Adenauer letzten Endes nur mit französischer Hilfe im Jahre 1949 an die Macht gekommen: Im Juli 1949 empfahl er in Genf dem französischen Ministerpräsidenten Bidault in Gegenwart von Dr. Kindt-Kiefer - der dieses später aus persönlicher Verärgerung über Adenauer ausplauderte -, daß das von ihm als "heidnisch" bezeichnete Berlin mit seiner SPD-Mehrheit kein Bundesland werden solle (Deutsche Informationen vom 07.07. 1959). Frankreich legte tatsächlich ein Veto gegen Berlin als Bundesland ein. Die Westberliner Abgeordneten (größtenteils SPD-Leute) hatten daraufhin im Bundestag in Bonn kein Stimmrecht, und Adenauer wurde so im September 1949 mit einer Stimme Mehrheit (seiner eigenen) zum Bundeskanzler gewählt.
Adenauer selbst war jedoch auch daran interessiert, ob die Stalinnote vom März 1952 mehr als ein Propagandamanöver war, und ließ sie von einem unabhängigen Gutachter, dem früheren Leiter der Ostabteilung im Reichsaußenministerium Richard Meyer von Achenbach, prüfen, der feststellte, daß die Note ernst gemeint und die aus dem Osten drohende Gefahr relativ gering sei. Adenauer war über das Gutachten schockiert. Er wußte sich jedoch zu helfen, erklärte es kurzerhand für geheim und unterband damit eine weitere Diskussion. Zum Ergebnis, daß es sich um eine ernst gemeinte Note handelte, kamen auch die Westmächte. Den Franzosen gefiel hierbei vor allem nicht, daß die Sowjets eine eigene deutsche Streitmacht von 300.000 Mann vorschlugen. Was könnte geschehen, wenn die Deutschen eines Tages, wie 1922 in Rapallo, sich zu einer engen Zusammenarbeit mit den Russen bereit fänden? Schließlich konnten diese mit dem Faustpfand der Oder-Neiße-Grenze wuchern, wenn Polen in ihrem Machtbereich blieb.
In ihrer Zone versuchte ab 1953 der Deutschlandexperte und spätere Botschafter in Bonn, Wladimir Semjonow, als Hochkommissar und damit erster Mann Moskaus in der DDR die Entwicklung zur Volksdemokratie zurückzudrehen und damit Adenauer an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die vermehrten Kontakte Semjonows zu bürgerlichen DDR-Politikern blieben Ulbricht nicht verborgen. Er mußte zu Recht um seine Machtposition in einem wiedervereinten Deutschland fürchten und blieb nicht untätig: Mit unerträglichen Normen trieb er die ostdeutschen Arbeiter zum Streik, der zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 führte. Semjonow mußte den Aufstand mit russischen Panzern niederschlagen und die Kontakte zu seinen bürgerlichen Gesprächspartnern abbrechen. Ulbricht hatte damit seine Machtposition gestärkt und einen - im Vergleich zu Adenauer - "bescheidenen" Beitrag zur deutschen Spaltung geleistet. Gerettet war das SED-Regime dadurch aber noch nicht endgültig. SED-Funktionäre äußerten daher damals: "Nur Adenauer kann uns noch retten". Daß Adenauer das getan hat, ist inzwischen nicht nur durch massive Indizienbeweise, sondern auch durch Dokumente erwiesen. Hätte Adenauer die Stalinnote ausgelotet und mit seinen überragenden Fähigkeiten sich für die Wiedervereinigung eingesetzt, hätten die Russen Ulbricht schließlich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, d. h. ihm das Schicksal beschert, das Erich Honecker 35 Jahre später zuteil wurde.

Vergeblicher Kampf der gesamtdeutschen Opposition
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges waren ca. 13 Millionen deutsche Männer Angehörige der Wehrmacht, SS und paramilitärischer Hilfsverbände (z. B. Bautruppen der Organisation Todt). Der überwiegende Teil von ihnen geriet in Kriegsgefangenschaft. Viele von ihnen, die das Kriegsende gesund erlebt hatten, verschmachteten in sowjetischen oder französischen Lagern. Auch die Amerikaner gingen mit ihren deutschen Gefangenen auf den Rheinwiesen nicht zimperlich um. Etwa 500.000 Soldaten und Zivilisten lieferten sie an die Rote Armee aus. Wer in ihre Lager schließlich kam, konnte die an sich sympathischen Spruchbänder lesen, daß die USA dafür sorgen werde, daß ihre deutschen Gefangenen nie wieder Soldaten werden müßten. Aber schon fünf Jahre danach war der kalte Krieg so weit vorgeschritten, daß Adenauer dem US-Hochkommissar John Mc. Cloy am 29.08.1950 deutsche Truppen anbot. Mit seinen Ministern hatte er zuvor nicht gesprochen. Innenminister Dr. Dr. Gustav Heinemann, der spätere Bundespräsident von 1969 bis 1974, trat daraufhin zurück. Ende 1950 entstand in Deutschland die "Ohne-mich-Bewegung". Gesamtdeutsch eingestellte Männer und Frauen des geistigen und politischen Lebens vereinigten sich aus der Befürchtung, daß der Irrweg zu einem einseitigen Militärbündnis in der Spaltung Deutschlands enden würde. Zu ihnen gehörten u. a. Konservative, Liberale und Sozialisten, Katholiken und Protestanten, Offiziere und Pazifisten. Sie forderten schon vor der Stalinnote ein neutrales Gesamtdeutschland. Namentlich zu nennen wären hier neben Dr. Heinemann Kirchenpräsident Dr. Martin Niemöller, Prof. Dr. Ulrich Noack mit seinem Nauheimer Kreis, der am 04.12.1948 einen Aufruf zur Rettung des Friedens durch Neutralisierung Deutschlands proklamierte, Joseph Wirth, der Rapallokanzler von 1922, Rudolf Augstein (der Spiegel), Paul Sethe (FAZ) und der oben bereits erwähnte Wolf Schenke.
Die SPD hat die Wiederaufrüstung jahrelang leider ohne Erfolg abgelehnt. Sie verwarf den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), der am 27.05.1952 verabschiedet wurde, jedoch in der Schwebe blieb, bis er schließlich durch die Ablehnung der französischen Nationalversammlung am 30.08.1954 scheiterte. Danach wurde der NATO-Beitritt Westdeutschlands aktuell. Dr. Heinemann versuchte mit Gesinnungsfreunden, zu denen u. a. Johannes Rau, Erhard Eppler, Diether Posser und Helene Wessel gehörten, mit einer 1953 gegründeten Partei, der gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) die Bundespolitik zu beeinflussen. Die Mittel dieser Partei waren jedoch zu gering, um einen Bekanntheitsgrad zu erlangen, der die Überwindung der 5%-Klausel bei der Bundestagswahl von 1953 ermöglicht hätte. Bei einer Großkundgebung der GVP in Freiburg im Breisgau engagierte sich der Verfasser dieser Zeilen damals aufgrund von sechs Jahren Kriegsteilnahme und Gefangenschaft erstmalig politisch mit folgendem Wahlspruch:

Wählst du CDU, wirst du Soldat im Nu.
Wählst du Sozialdemokrat, wirst du später auch Soldat.
Wählst du die FDP, willst du die EVG.
Wählst du Kommunist, wirst du Rotarmist.
Doch ich will nicht zum Kommiß, ich will bleiben Zivilist, will keinen Stahlhelm ziehen an. Drum wähl ich Dr. Heinemann!

Wer im Interesse der deutschen Einheit die Wiederaufrüstung und einseitige Westbindung bekämpfte, wurde von den Adenauer-Separatisten kriminalisiert. Er wurde als Dummkopf oder Verräter gebrandmarkt. Oder es wurde ihm vorgeworfen, von den Sowjets gekauft zu sein. Organisationen des gesamtdeutschen Widerstands wurden vom Verfassungsschutz oder später auch vom militärischen Abschirmdienst (MAD) unterwandert, deren Angehörige sogar Veranstaltungen mit Rednern der gesamtdeutschen Opposition anregten.
Die Verfolgung Andersdenkender ging so weit, daß z. B. die Wuppertaler Historikerin Renate Riemeck Ende der 50er Jahre von Kultusminister Schütz (CDU) aus dem Hochschuldienst entfernt wurde, weil sie 1948 auf Einladung der Universität Leipzig einen Vortrag über den Westfälischen Frieden anläßlich dessen 300-jährigem Jubiläum gehalten hatte!
Die rivalisierende CDU-Gruppe aus Berlin um Ernst Lemmer und Jakob Kaiser wurde gar von Adenauer selbst verdächtigt, über die Aufstellung einer Schwarzen Reichswehr zu beraten. Es war Ernst Lemmer, der schon im Mai 1952 vor der CDU-Fraktion beklagte, das Jahr 1952 werde als das Jahr der historischen Teilung Deutschlands in die Geschichte eingehen. Als die CDU/CSU nach der Bundestagswahl 1969 in die Opposition gehen mußte, verlangte Wolf Schenke in der Neuen Politik und bei anderen Gelegenheiten immer wieder, daß die sozial-liberale Koalition mit der Deutschlandpolitik der Unionschristen abrechnen müsse, leider vergeblich. Ich verstand nicht, warum sich die SPD dafür nicht vehement einsetzte. Sie hatte schließlich hinsichtlich der deutschen Spaltung eine weiße Weste, wenn auch nicht ihr Koalitionspartner, die FDP.
Vielleicht ist die von Schenke und anderen geforderte Abrechnung unterblieben, um die Liberalen nicht zu sehr als Mitverantwortliche in Verlegenheit zu bringen.
Die entscheidende Hilfe erhielten die Spaltungsfreunde um Konrad Adenauer jedoch von der römischen Kirche. In Hirtenbriefen, die vor den Bundestagswahlen 1953 und 1957 von mehreren 1000 Kanzeln verlesen worden sind, wurde eine massive Wahlwerbung zugunsten der CDU/CSU getrieben. Wen wundert das? Die Bevölkerung der DDR bestand zu 80% aus Nicht-Katholiken. Der Einfluß der römischen Kirche wäre daher im wiedervereinigten Deutschland erheblich zurückgegangen.

Zur Frage der deutschen Ostgrenze (Exkurs)
Auf ihrer ersten Konferenz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges einigten sich die Vertreter der drei Siegermächte, Stalin, Truman (USA) und Churchill (Großbritannien) vom 17.7. bis zum 2.8.1945 im Potsdamer Cäcilienhof u. a. über die Entmilitarisierung und wirtschaftliche Schwächung Deutschlands. Ein besonderer Streitpunkt bildete dabei aber auch die Festlegung der deutschen Ostgrenze. Stalin trat für die Oder-Neiße-Grenze (Linie A) ein, wobei der Westteil von Stettin zunächst noch deutsch bleiben sollte. Churchill wollte die "polnische Gans nicht übermästen" und verlangte eine Linie D, nach der Hinterpommern, Ostbrandenburg und Niederschlesien bei Deutschland verblieben wären. Er vertrat damit eine Grenzziehung, die angelsächsische Geheimzirkel schon im Jahr 1888 vorgesehen hatten, was nicht uninteressant ist im Hinblick auf die angebliche deutsche Kriegsschuld am ersten Weltkrieg. Damit wären nach Churchill, dem Erfinder der Westverschiebung Polens, mit Danzig, dem südlichen Ostpreußen und Oberschlesien "nur" 37.400 qkm zu Polen gekommen, ein Gebiet, das für die Aufnahme der 2,5 Millionen Polen völlig ausgereicht hätte, die aus dem sowjetischen Gebiet östlich des heutigen Polens nach Westen umgesiedelt wurden (zusammen mit 1,3 Millionen Volksdeutschen aus dem polnischen Staatsgebiet von 1939 wurden aus dem Gebiet ostwärts der D-Linie noch ca. 3 Millionen Deutsche vertrieben). Churchill wurde nach einem Wahlsieg der Labour-Partei von Attlee abgelöst. Truman war ebenfalls neu im internationalen Geschäft. Und so setzte sich Stalin mit seiner A-Linie durch. Von der Vertreibung aus dem heutigen Polen waren daher rund 8 Millionen Deutsche betroffen, eine schwere Verletzung der Menschenrechte, für die es in der europäischen Geschichte kein Beispiel gibt, um so mehr, als zu den eben erwähnten 8 Millionen ja noch weitere 4 Millionen Vertriebene aus der Tschechoslowakei und Südosteuropa dazu kamen.
Da die USA und England eine Vertreibung in diesem Umfang nicht sanktionieren wollten, fand man die Sprachregelung, daß die Gebiete östlich der Oder und Neiße der polnischen Verwaltung unterstellt würden, die endgültige Grenzziehung aber einem späteren Friedensvertrag vorbehalten bliebe. Nachdem die Westmächte jedoch nicht gegen die Massenvertreibung protestierten, konnte der Begriff "polnische Verwaltung" de fakto nur eine polnische Besitznahme dieser Gebiete bedeuten.
Der rechtliche Schwebezustand weckte jedoch auf deutscher Seite Hoffnungen, die mit zunehmendem Zeitablauf abnehmen mußten, während die polnische Seite nicht sicher sein konnte, daß es eines Tages nicht doch eine Grenzkorrektur geben würde. Ich erinnerte politische Freunde schon Ende der 40er Jahre an die Nichtanerkennung Preußens durch den Vatikan (weil König Friedrich I. sich ohne Befragung des Vatikans 1701 zum König in Preußen krönen ließ). Nach 99 Jahren wurde die Anerkennung dann doch ausgesprochen.
Wenn Hochkommisar Wladimir Semjonow in Gesprächen mit bürgerlichen Politikern der DDR erwähnte, daß das letzte Wort über die Oder-Neiße-Grenze nicht gesprochen sei (Der Spiegel Nr. 24/1983), so wäre wohl schon damals (1953) eine wesentlich ungünstigere Korrektur als die Churchillsche D-Linie möglich gewesen. Aber es wurde ja nicht einmal über die Wiederherstellung der deutschen Einheit ernsthaft verhandelt. Adenauer sah als einer der ersten die in Potsdam geschaffene Sachlage nüchtern und realistisch. Zum SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer äußerte er z. B. 1955: "Die Gebiete östlich der Oder und Neiße? Die sind weg; die gibt es nicht mehr." Wer hätte sich denn auch für eine Grenzrevision einsetzen sollen? Die Sowjets im kalten Krieg? Frankreich, das wie kaum eine andere europäische Mittelmacht mit der Abtrennung der ostdeutschen Gebiete sehr einverstanden war und auch vorsichtige Ansätze einer Grenzrevision schon blockiert hätte? - Meinen Exkurs über die ehemals deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße möchte ich mit der Beurteilung des polnischen Kardinals Wyschinski abschließen, der 1966 sagte: "Mit der Wiedergewinnung der polnischen Westgebiete, mit der Vernichtung des preußischen Staates und der Zerschlagung des Deutschen Reiches hat die Gegenreformation ihr Ziel erreicht." Sie hatte dieses Ziel vor allem auch deshalb erreichen können, weil Adenauer die Einbindung Westdeutschlands in ein westliches Militärbündnis wichtiger war als die Einheit unseres Landes. Nach dem NATO-Beitritt der BRD vom Mai 1955 konnten die Polen ihre äußeren Westgebiete beruhigt endgültig in Besitz nehmen. Sie wußten, daß eine Grenzrevision zugunsten von Deutschland nunmehr bis auf den St.-Nimmerleinstag verschoben war.

 
     
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