Hannes Kiebel - November / Dezember 1998    
Zwang und Elend, Almosen und Strafen für Armutsmenschen vom 16. bis in das 20. Jahrhundert  
     
 

IDen nachstehenden Artikel fand ich ursprünglich im berliner straßenmagazin motz, einer Obdachlosenzeitschrift. Er hatte dort die Überschrift Wanderer wider Willen. Meine Anfrage wegen der Abdruckerlaubnis wurde an den Autor weitergeleitet, der mir zusammen mit seiner Erlaubnis das Originalmanuskript zuschickte. Danke schön!

Gegen Mitternacht der Weimarer Republik, am 20. Januar 1933, tagten in Erfurt die Vertreter der deutschen Landesfürsorgeverbände. Mit ihnen waren auch Vertreter der deutschen karitativen Wandererfürsorgeverbände gemein. Der Tagesordnungspunkt "Wandererfüsorge" hatte den Hintergrund, mit den 400 000 armen Menschen, andere Schätzungen nannten 800 000 bis 2 Millionen, die auf der Straße waren, um Arbeit und Wohnung zu finden, "fertig zu werden. In der Niederschrift zur Tagung gibt es für diese armen Menschen den Begriff "seßhafte" Wanderer, das sind Wohlfahrtserwerbslose, die von den Städten auf das Land ziehen und Lebensmittel betteln. Es gibt auch das Wort "Wanderer" für Menschen, die mittellos, arbeitslos und obdachlos sind und sich von Ort zu Ort nach Arbeit umsehen, und für "asoziale Elemente", das sind Landstreicher und Stromer, die zum Teil bösartig und verbrecherisch sein sollen. Die wandernden Arbeitslosen der Wirtschaftskrise, diese Straßen - Armutsmenschen, haben einen hohen Anteil von jungen Menschen.
In der Tagungsniederschrift, dem Erfurter Programm des Kampfes gegen Armutsmenschen, steht: Strenges Vorgehen gegen die asozialen Elemente. Polizeiliche Kontrolle, strafrechtliches Vorgehen, Einweisung ins Arbeitshaus. - Die kranken und gebrechlichen Wanderer sind in Heime unterzubringen. Sehr notwendig ist, die jugendlichen Wanderer unter 18 Jahren auszuschalten. - Neben einer harschen "Fürsorge" wollen die Landesfürsorgeverbände die polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung der asozialen Wanderer, die aus dem Wanderstrom ausgeschaltet werden sollen.
Ein Weltbild von wäßriger Konsistenz zeichnet sich ab, in dem es weder im Reich der Fakten noch auf dem Gebiet der Moral irgendwelche Hierarchien oder feste Punkte gibt. Alles ist gleich wichtig oder unwichtig. Ein "hübsches Ambiente" am Ende der Weimarer Republik.
Mit knappen Strichen will ich zeichnen, wie Armutsmenschen in der Vergangenheit gesehen wurden, wie ihnen Schlimmes angetan wurde. Immer wieder werden Straßen-Armutsmenschen gezwungen, "mobil" zu sein, ihre Lebenspunkte zu verlassen. Aktuell heißt das Programm "Innere Sicherheit in den Städten". Die Vertreibung der Straßen-Armutsmenschen geht in eine neue Phase. Wie waren nun Verhältnisse in der Vergangenheit?
Die beiden Hauptformen gesellschaftlicher Hilfe für bedürftige Arme waren während des gesamten Mittelalters die Pflege im Spital und das Almosen. Von größerer Bedeutung für die Masse der Armutsmenschen war das Almosen. Es wurde von den Reichen entweder direkt den Bettlern gegeben oder den städtischen Kirchen und Klöstern zur Verteilung überlassen. Mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wird versucht, diese Almosenpraxis auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Ursachen dieses Wandels sind mehrdeutig. Hier wird die Zunahme der Straßen-Armutsmenschen genannt, das Aufkommen der Geldwirtschaft und des Kreditwesens, ein neues Selbstverständnis der "Obrigkeiten". Für süddeutsche Städte ist der Abzug reicher Bevölkerungsschichten aufs Land und der Zuzug armer ländlicher Bevölkerungsgruppen mit der Folge von nicht stabilen städtischen Sozialgefügen zu erwähnen. Aber auch die Versorgung der gänzlich oder partiell Arbeitsunfähigen konnte die Stadt auf Dauer nicht sicherstellen.
In Augsburg wurden "fremde Bettler" (nicht ortsansässige) nach der Bettelordnung von 1459 drei Tage geduldet und 1461 schaffte der Rat sie ganz hinaus (vor die Tore). 1512 erhielten die Torknechte die Instruktion, Bettler an die Haupttore zu schicken, dort sollten sie befragt werden nach Herkunft und Zukunftswünschen. Konnten oder wollten sie darüber keinen Aufschluß geben, so sollten sie abgewiesen werden. An bestimmten Tagen, wie Allerheiligen oder Allerseelen, später auch zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, erhielten Bettler Almosen gereicht.
Nach dem dreißigjährigen Krieg gab es ein unübersehbares Elend. Generell wurden in Augsburg fremde Bettler nicht versorgt. Sammelten sich solche vor der Stadt, so machten die Gassenknechte einen Ausfall und trieben sie weg. Die Straßen-Armutsmenschen wurden nicht überall gleichmäßig behandelt. An einem Orte war es strenger, an einem anderen war es nachsichtiger.
Mißlicher noch als am Ende des 17. Jahrhunderts gestalteten sich die sozialen Verhältnisse am Anfange des 18. Jahrhunderts. Der spanische Erbfolgekrieg brachte Elend, namentlich über Menschen in Bayern. Kreisschlüsse und Reichsstädte ordneten Streifen auf die Bettler an. In einem Gebiete wurden durch die Streifen Bettler vertrieben, sie kamen dann in andere Gebiete und wurden dort nicht gestört. Kurz: Straßen-Armutsmenschen mußten mobil sein, hatten hohe Schwierigkeiten, ihr Leben zu fristen. 1711 wurde in Augsburg eine Armenanstalt errichtet, die auch Almosen an fremde Bettler gab. Eine Registrierung und Befristung des Aufenthalts waren Bedingungen. Der Rechenschaftsbericht von 1712 erwähnt 7.533 Fremde, darunter viele Kinder. Es gilt festzuhalten: solange eine Gemeinde nur die versorgte, die zu ihr "gehörten", wurden die Ortsfremden im Falle der Verarmung hinausgeworfen oder "auf den Schub gebracht", das heißt mit Bettelfuhren in ihre Heimatgemeinde gekarrt.

 
     
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