Dieter Kersten - Juli / August 2010    
 

Theater: Horst Pillau: "Zille"

 
     
 

(D.K.) Meine Mutter erzählte von dem „Schmalhans Küchenmeister“, der „bei ihr zuhause“ in dem Berlin der ersten zwanzig Jahre des vorigen Jahrhunderts herrschte, als ihre Mutter sie losschickte, „um beim Schlachter fürn Sechser fetten Speck“ zu besorgen. Das war dann das einzige „Fleisch“ in der Kohlsuppe für bis zu sechs Personen. Wat „nen Sechser“ ist? „Fünf Fennje“ alter Währung.

Ich mußte an diese Geschichte denken, als ich am 13. April im THEATER AM KURFÜRSTENDAMM das Stück Zille von Horst Pillau sah.



Wohnungs-Hygiene

Arzt im Norden Berlins, der den Tod eines Arbeiterkindes bestätigen soll, findet in der Wohnung des Arbeiters nur die Kinder beim Spielen vor:

„Kinder, wo ist denn euer heute morgen verstorbenes Brüderchen?”

„Ach, Herr Doktor,” erwidern die Kinder, „Mutter is weggegang'n und hat se den Hans in die Kommode jeschlossen, wir sollen nich mit ihm spiel'n.”

(D.K.) Auch meine Mutter ( 1902 geboren) hatte ein kleine Schwester von ca. 2 Jahren, die sie als Drei- bis Vierjährige in einem Sarg liegend gesehen hatte. Das Kind war  an unzureichender Ernährung gestorben

Kennen Sie Heinrich Zille? Ich bin fast mit ihm, mit seinen Zeichnungen des Berliner Milljös, aufgewachsen. Meine Eltern liebten ihn, den Pinsel-Heinrich, der mit seinen Blei-stiftzeichnungen auf die sozialen Zustände im kaiserlichen und republikanischen Berlin aufmerksam machte. Er war ein Berliner Original, ein Humorist, ein sehr unbequemer Sozialkritiker und ein begnadeter Künstler. Er beherrschte das „Berlinerische“ wie kein anderer. Leider ist dieser „Berliner Mutterwitz“ weitgehend ausgestorben.

„Dreiundzwanzig Fennje bekam ’ne Heim-arbeiterin, und die Kinder jingen in ’ne Streichholzfabrik und hatten denn von dem Phosphor und Schwefel jar keene Fingernägel mehr. Und da soll man nich mal da- zwischenfahren, wenn man erlebt hat, wie sich det Elend von Jeneration zu Jeneration weiterfrißt – wo det Kind schon als Sklave jeboren wird?!”

Heinrich Rudolf Zille wurde am  10. Januar 1858 in Radeburg bei Dresden geboren und starb am 9. August 1929  in Berlin. Er war ein Grafiker, Lithograf, Maler, Zeichner und Fotograf.

Horst Pillau, ein österreichischer  Dramatiker, Romancier, Hörspiel- und Drehbuchautor und der Verfasser des Theaterstückes Zille ist am 21. Juli 1932 in Wien geboren und in Berlin aufgewachsen. Er schuf ein Theaterstück, welches in Form von szenischen Clips das Lebenswerk von Heinrich Zille durcheilt und den Zuschauer mit der Prominenz in der künstlerisch-menschlichen Umgebung des Künstlers vertraut macht: Käthe Kollwitz, Claire Waldoff, Max Liebermann, Anton von Werner, Walter Kollo und viele andere mehr.

Der Abend war gut besucht, der Applaus eindrucksvoll. Alle Schauspieler haben flott und überzeugend gespielt. Ein fahler Beigeschmack bleibt, wenn das derzeitige Berliner Bürgertum, satt bis über beide Ohren, die sozialkritischen Betrachtungen eines Heinrich Zille beklatscht. Ich war jedenfalls sehr oft betroffen und nicht amüsiert.

 
     
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