Dieter Kersten - Juni 2008    
 

Theater: George Tabori Mutters Courage"

 
     
 

(D.K.) In den wenigen Fällen, in denen ich Probleme hatte, meinen Bericht über ein kulturelles Ereignis zu beginnen, war es die Banalität, die mir die Sprache zu rauben drohte. In diesem Fall ist es anders. Hier ist es die Betroffenheit. Ich sah und hörte am 3. Mai 2008 im Renaissance-Theater in Berlin Mutters Courage von George Tabori.

George Tabori, *24. Mai 1914 in Budapest und †23. Juli 2007 in Berlin, erzählt die fast unglaubliche Überlebensgeschichte seiner Mutter Elsa (1889 – 1963). Ich entnehme den folgenden, kursiv gedruckten Text mit leichten Änderungen der Vorstellung des Stückes auf der Web-Seite des Renaissance-Theaters: > Eines Sommertages im Jahr 1944 zog meine Mutter ihr gutes Schwarzes mit dem Spitzenkragen an, das sie, wie es sich für eine Dame geziemt, zur wöchentlichen Rommérunde bei ihrer Schwester Martha zu tragen pflegte. Sie setzte auch ihren schwarzen Hut auf und zog die weißen Handschuhe an... so beginnt Sohn George sein Theaterstück. Auf dem Weg zur Schwester wird Elsa Tabori in Budapest von zwei ungarischen Geheimpolizisten verhaftet. Mit über 4000 anderen Menschen wird sie in Viehwagen gepfercht und Richtung Auschwitz deportiert. An einer Umladestation geschieht das Unfassbare. Elsa nimmt im entscheidendsten Moment ihres Lebens ihren ganzen Mut zusammen und rettet sich. Meisterhaft und - wie man es von ihm kennt - mit viel Humor verknüpft Tabori Anekdote, Kalauer, Sentiment, Witz und Weisheit in dieser tragikomischen Begebenheit. "So ist das Leben", würde Elsa dazu sagen. <

Gibt es einen „jüdischen“ Witz und eine „jüdische“ Weisheit, welches der Verhaftung einer judensterntragenden älteren Frau zu einer „tragigkomischen Begebenheit“ macht? Es scheint so zu sein, denn keiner der Zuschauer hat sich dem „Witz“ entziehen können. Tränen der Traurigkeit oder Erschütterung sind keine geflossen. Es war eher ein erstauntes, zaghaftes Lachen zu hören.
Zwei Personen stehen bzw. sitzen auf derspärlich möbilierten Bühne. Nicole Heesters spielt die Mutter Elsa Tabori und Markus Gerthen den Sohn George Tabori. Sohn Tabori, der sich auf der Bühne auch in andere Personen verwandelt, liest den Bericht seiner Mutter vor, der von Nicole Heesters in sparsamen Szenen und Gesten gespielt wird.

Hör- und spürbar wird der Antisemitismus der ungarischen Bevölkerung - aber auch die Hilfsbereitschaft. Der Transport der verhafteten Elsa Tabori zum Bahnhof findet in der  überfüllten Straßenbahn statt, in der ihr Platz gemacht wird, aber nicht ihren Bewachern. Die Straßenbahnschaffnerin gibt ihr demonstrativ einen Fahrschein bis zur Endstation (für die Flucht), sie steigt aber dort aus, wo sich ihre Bewacher mit ihr „verabredet“ haben. Ich überspringe die nächsten überaus wichtigen Berichtsabschnitte bis zu der Umladestation. 4000 jüdische Menschen stehen dort drei verunsicherten Uniformierten gegenüber: einem jungen deutschen Offizier (SS?) und zwei ungarischen Nazis (Pfeilkreuzlern?). Angestachelt durch einen Bekannten, den sie unter der 4000 Menschen trifft, geht Elsa auf den deutschen Offizier zu und erklärt ihm, daß ihre Verhaftung ein Irrtum ist.  Der Offizier geht darauf ein, fährt mit ihr, 1. Klasse, im Gegenzug nach Budapest zurück, und sie kann dort untertauchen und überleben.

Was in meinem Bericht so nüchtern klingt, ist auf der Bühne mit Anekdoten, Kalauern, Witzen und Weisheiten  in einer Form angereichert, die diese schlimme Geschichte erträglich und zu einem Theaterereignis macht.

Warum ist Elsa so folgsam und korrekt gewesen? Warum haben sich, in diesem Fall,  nicht alle 4000 jüdischen Menschen gegen die drei Nazis empört?  Warum haben sich in der Zeit der Verfolgung in ganz Europa so wenig jüdische Menschen gegen Verschleppung und Tod gewehrt?  Kann mir das jemand erklären?

Das Stück ist eine Produktion der Hamburger Kammerspiele in Zusammenarbeit mit dem Renaissance-Theater Berlin. Die Premiere fand am 23. April 2008 statt.

Die Vorstellung am 3. Mai war gut besucht. Es gab einen kräftigen, nachdenklichen Beifall.

 
     
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