Martin Rust - September 2006    

“Adio Pola, adio mia terre!”

 
     
 

Um es von vorneherein festzustellen: “Erzwungene Wege”, die Ausstellung m Berliner Kronprinzenpalais über Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts, ist eine lohnenswerte Sache. „Leb wohl, Pola, leb wohl, meine Heimat“ riefen die Einwohner der Stadt in Istrien zu, als sie auf den Flüchtlingsschiffen den Hafen verliessen. Titos Armee stand 1946 vor den Toren, einmarschbereit.

Einiges an Negativem ist von ewig bekennend-kritisch deutscher Seite über die Ausstellung gesagt worden. Und natürlich kam auch die zu erwartende Hetze aus Polen, von den Macht-Brüdern Kaczynski aus Warschau. Aber dem Betrachter präsentierte sich eine sehr gut besuchte, sehr interessante und sehr gut aufbereitete Schau, die an keiner Stelle versuchte, Dinge parteiisch zu verzerren, sondern zeigt, wie viel Leid die Idee des ethnisch homogenen Nationalstaates in Europa bis direkt in unsere Tage geschaffen hat.

Vom Typus her handelt es sich im ersten, größten Raum um eine „Wandzeitungsausstellung“ mit vielen Lesetexten, eingearbeiteten Fotos und Karten sowie einigen kleineren Exponaten und Videostationen. Unterschiedliche Beweggründe und Rahmenbedingungen für Vertreibungen werden an Vertreibungen in Europa seit 1915/16 deutlich gemacht. Die Beschränkung auf das 20. Jahrhundert geschieht dabei aus Rücksicht auf den Betrachter, denn tatsächlich existiert eine kontinuierliche europäische Vertreibungsgeschichte schon seit den späten 1850er Jahren.

Ergreifend sind einige der kleinen Exponate da, wo sie Aspekte des ganz individuellen Leids nachzeichnen – die Postkartenzeichnungen eines kleinen Mädchens, welches den Einbruch der Vertreibenden in die Dorfidylle, den Transport, den Tod und die Neuansiedlung in einem fremden Gebiet festhält, genauso wie der zu einem Babyträger umgearbeitete Jutezuckersack, liebevoll verziert mit kleinen blauen Bommeln für das Tragen während der Treckzeit. Der Marschbefehl für die Familie Pfuhle aus Danzig-Langfuhr vom 29. Januar 1945  wird von der Behörde ausgestellt „zur Auflockerung der Verkehrsverhältnisse im Reich“ und läßt einen mit dieser Formulierung doch ziemlich fassungslos vor dem Schaukasten stehen.

Im zweiten Saal steht der Besucher vor dem, was Vertreibung, was erzwungene Wege für die überlebenden und oftmals jahrzehntelang traumatisierten Menschen bedeuten. Dinge, die Heimat ausmachen und die zurückgelassen werden mußten, Liebgewonnenes als Stücke aus der Erinnerungskultur, aber auch Lager und Lagerleben werden anhand von Objekten deutlich gemacht. Naturgemäß nehmen die Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen der Deutschen nicht übermächtig, aber räumlich einen Schwerpunkt ein. „Naturgemäß“ jedoch nur deshalb, weil in der Geschichte der europäischen Vertreibungen diejenige der Deutschen den quantitativen und „qualitativen“ Höhepunkt der bisherigen europäischen Geschehnisse in diesem Bereich darstellt.

Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, hat Recht, wenn sie am „Tag der Heimat“ am 2. September 2006  sagte, daß im Gegensatz zu Vertreibungen diese Ausstellung etwas Singuläres darstellt. Eine Ausstellung zu dieser gesamteuropäischen Thematik hat es tatsächlich bisher noch nirgendwo in Europa gegeben. Vielleicht schämen sich ja nur alle. Deshalb entspricht die Ausstellung auch der ebendort aufgestellten Forderung des Bundespräsidenten, Aufrichtigkeit im Umgang mit der Vergangenheit zu üben und aufrichtig zu sein im Umgang mit den Nachbarn. Und in seiner Laudatio für Peter Glotz zitierte der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily den durch den BdV posthum ausgezeichneten Mitinitiator des „Zentrums gegen Vertreibungen“, der Glotz auch war, mit dem Satz: „Im neuen Europa dürfen nicht einige Völker wie sanfte Irre behandelt werden, bei denen ein aufrichtiges Gespräch die Therapie stört“.

In die Zukunft gerichtet, kann die Ausstellung dazu beitragen, daß, wie es der Bundespräsident formulierte, die Jugend auch die Wurzeln der deutschen Kultur im ehemaligen deutschen Osten kennen lernt (nur zwei Namen: Kant, Kollwitz), und daß im gesamteuropäischen Kontext mehr miteinander als übereinander geredet wird. Soviel (überwiegen positive übrigens) Diskussion zwischen Deutschen und Polen war nie (hier auch: Grass sei dank). Da stören zwei Kaczynskis ganz oben denn langfristig hoffentlich auch nicht.

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat