Martin Rust - Mai 2005    
Scharf hingeschaut: Nachts,im Regierungsviertel...  
     
 

Die Oberbühne: Der erste angenehm temperierte Aprilabend des Jahres, etwa 21 Uhr. Auf der Dachterrasse einer Loungebar, der "Sky Lobby", eines fast fertiggestellten Gebäudes nahe der Kronprinzen-brücke. Noch ein bißchen Baustellenatmosphäre, aber für den Event atmosphärisch gestylt hergerichtet. Hoch unterm Sternenhimmel fantastischer Blick über das illuminierte politische Berlin und darüber hinaus. Gepflegtes Catering und ebensolches Personal, gepflegte Konversationen, gepflegte Gäste: Abgeordnete, Verbandsvertreter, Lobbyisten, Journalisten.

Die Unterbühne: Der Spreebogen, die moderne Kronprinzenbrücke, ein nackter Mann, Passanten (Touristen, Einheimische), ein Polizeiboot samt Besatzung, drei Feuerwehrautos einschließlich Notarzt samt Besatzung.

1. Akt:
Mehrere Gäste treten aus der erleuchteten Lounge heraus in die Dunkelheit der Dachterrasse. Die Gespräche von drinnen treten zurück und werden leiser, die flanierenden Gäste wenden sich dem prachtvollen und wirklich beeindruckenden Ausblick zu. Ohne Zweifel eine der neuen aufregenden Perspektiven im sich wandelnden Berlin! Man hält einen Drink in der Hand und erreicht schließlich das Geländer. Dort stehen schon andere Gäste geneigt über die Brüstung und lassen die Worte in die Ferne schweifen.
Derweil streift unten auf der Kronprinzenbrücke ein Mann eher unter 40 seine weiße Unterhose Marke "Liebestöter" ab. Er springt über die Straße auf das Brückengeländer zu; wild gestikulierend schreit er Worte in die Leere, die vor der Kulisse des Reichstages verhallen. Keiner versteht ihn.

Oben werden die Gäste allmählich aufmerksam. Alle Gespräche stoppen, alle Blicke richten sich nach unten. Zunächst spekulieren sie, was der Nackte tief unter ihnen treibt. Jetzt werden die Worte verständlicher. Der Mann schreit auf Englisch; offensichtlich richtet er Beschimpfungen an die riesigen bunt erleuchteten Fensterputzerfiguren des Paul-Löbe-Hauses. Autos fahren vorbei; keines stoppt.

2. Akt:
Oben tritt eine junge dunkelhäutige Schönheit des Catering-Service zur Gruppe der Gäste hinzu. Diese spekulieren eifrig über den Nackten. Geistesgestört? Unter Drogeneinfluß? Einer weiß, daß es letztes Jahr genau dort schon mal so einen Vorfall gab. Derselbe Mann? Dann wahrscheinlich doch auf Droge.
Unten ergreift der Mann den Rettungsring, der am Brückengeländer befestigt ist. Er spielt mit ihm, schreit ihn an. Er schreit auch etwas nach oben, was aber unverständlich bleibt. Wieder diskutiert er mit den Lichtern der Fensterputzerfiguren. Er rennt hin und her, klettert auf das Brückengeländer. Erste Passanten bleiben stehen.

Oben taucht kurz die Idee auf, per Handy die Polizei zu rufen. Aber niemand tut es. Stattdessen gibt es von einigen anfeuernde Zurufe. "Spring! Spring!" Die sensible Catering-Mitarbeiterin fürchtet um die Gesundheit des Nackten. Noch immer hat kein Auto angehalten. Aber zunehmend bleiben Passanten stehen. Erste Digitalkameras werden gezückt; Fotoblitze leuchten auf. Wieder "Spring! Spring!" von oben. Ein Polizeiwagen fährt vorbei, er hält aber nicht.

Die Gruppe der Passanten wird größer. Der Nackte wird immer ekstatischer, die Gäste auf der Dachterrasse immer aufgeregter. Drinnen bekommt man nichts mit. Ein Polizeiboot nähert sich. Aus der Ferne erste Sirenengeräusche. Das Mädchen vom Catering und ein Gast philosophieren über die gefühlte Kälte von Berlin, Drogen, und was derlei Dinge in sensiblen Psychen anrichten können, auch im Angesicht der hell strahlenden Reichstagskuppel.

Der Nackte wirft den Ring in die Spree. Er springt. Jubel. Fotoblitze.

3. Akt:
Drei Feuerwehrautos tauchen auf. Das Polizeiboot wendet und fischt den Nackten auf. Sanitäter am Ufer. Die Passanten trollen sich, die Gäste ziehen sich in die wärmende Lounge zurück, das Mädchen und der Gast setzen drinnen noch ein wenig ihre philosophischen Betrachtungen fort, dann muß sie sich wieder um anderes kümmern. Aber der Bundespressestrand macht immerhin bald wieder auf, genau unterhalb der "Sky Lobby". Neue Leute, neue Impressionen dann. Berlin ist so überreich an Menschentypen. Die Show vom heutigen Abend ist jedenfalls gelaufen und hat Anklang gefunden.

 
Kurt Schmich - Mai 2005    
Fremdenfeindlichkeit - ein internationales Problem!  
     
 

Der Radiosender "Multikulti" gehört mit seinem buntgemischten Programm durchaus zu meinen "Lieblings-Sendern". Am 12.3.05 wurde ich erstmals auf die Sendung "Russendisko Club" aufmerksam. Neben moderner russischer und auch ukrainischer Musik gab es auch eine Hörerbeteiligung. Das Thema: ''Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhaß". Während die Moderatoren, Wladimir Kaminer und Yuriy Gurzhy das Problem doch recht liberal behandelten und auch darauf hinwiesen, die meisten Ausländer kämen schließlich freiwillig hier her und müßten wissen, auf was sie sich einlassen. Doch von den Anrufern, vielfach Deutsche, waren da andere Töne zu hören. Ich will hier nun nichts beschönigen, eine gewisse Fremden- bzw. Ausländerfeindlichkeit ist vorhanden, doch bin ich es leid, immer wieder von deutschen Mitbürgern zu hören, wie besonders fremdenfeindlich wir Deutschen seien. Bei meinen Reisen in andere Staaten, die ich prinzipiell individuell gestalte, habe ich viele ähnliche Beispiele sammeln können. Dabei konnte ich feststellen, daß man mir gegenüber recht gastfreundlich war, aber nur weil ich kein Franzose bin. So geschehen in Tahiti und auch auf Martinique. Von meinem Hotelzimmer in Martinique konnte ich immer die geköpfte und mit roter Farbe beschmierte Statue der Kaiserin Eugenie sehen.

Bei einem Besuch in Mexiko wurde ich von einem Mann angespuckt mit der Aufforderung "Go back to fucking America!". Der Mann hielt mich für einen US-Amerikaner, doch egal, gastfreundlich war er bestimmt nicht. Ja, selbst im oft zitierten Schmelztiegel USA ist nicht alles so fremdenfreundlich, wie uns oftmals erzählt wird. Es gibt dort viele ethnische Gruppen, die sich gegenüber ihrer gesellschaftlichen Umwelt absondern. Dort kann man seine relativ guten Englischkenntnisse vergessen. Noch ein Beispiel aus Asien: In Singapur leben überwiegend drei Bevölkerungsgruppen, Chinesen, Malayen und Inder. Mir ist aufgefallen, daß diese Gruppen sich von einander getrennt halten. Ich habe nicht eine Mischlingsfamilie gesehen, mit der Ausnahme, wenn ein Part europäischen Ursprungs schien.

Aber selbst in Europa bin ich auf einige merkwürdige Abgrenzungen gestoßen. Warum z.B. hören es Portugiesen nicht gern, wenn sie auf spanisch angesprochen werden? Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, mit einer Gruppe Jugendlicher aus Slowenien zu diskutieren. Ich war doch sehr erstaunt, welch negative Haltung diese jungen Menschen gegenüber ihre Nachbarn in Kroatien haben. Ich könnte noch viele andere Beispiele aufzählen, doch zurück zur Sendung.

Gegen Schluß der Sendung äußerten die Moderatoren ihre Verwunderung darüber, wie schlecht sie doch manches mal von Deutschen verstanden werden, obwohl sie Deutsch reden. Ich muß zugeben, auch ich habe hierbei meine Probleme. Es ist wohl aber eher ein phonetisches als ein fremdenfeindliches Problem. Ein Beispiel möchte ich bringen: Bei einer Fahrt durch Havanna stellte ich plötzlich fest, ich habe mich verirrt und gelangte immer mehr in die Außenbezirke. Ich fragte deshalb einige Passanten nach der Richtung "Habana- Centro" doch ich bekam nur Kopfschütteln zur Antwort. Erst als ich dann schon ziemlich genervt meinte, es müsse doch einer das "Centro" von "Habana" kennen, bekam ich endlich die gewünschte Auskunft. Der gesuchte Stadtteil heißt eben "Centro-Habana" und nicht "Habana-Centro". Was beweist, ein kleiner Fehler kann zu großer Unverständlichkeit führen.

Eine Frage möchte ich all jenen stellen, die da meinen, wir Deutschen seien besonders fremdenfeindlich. In welchem Staat der Erde gibt es einen Radiosender, der in so vielen Sprachen Programme für ethnische Minderheiten sendet wie "Multikulti"?

 
Dieter Kersten - Mai 2005    
Eine Reise nach London  
     
 

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen. Mein Patensohn Nils (16 Jahre) und ich (65 Jahre) waren zu Ostern für sieben Tage in London. Da Nils möglichst viel Englisch sprechen sollte, wählte ich keine Reise über einen Reiseveranstalter mit deutscher Betreuung, sondern ich bemühte das Internet für die Zimmer- bzw. Hotelsuche.

Es gibt eine verwirrend große Auswahl von Hotels. London ist sehr groß. Also nahm ich mir den Stadtplan vor: das Hotel sollte nicht zu weit von der Innenstadt entfernt liegen, eine Entscheidung, die sich bewährt hat. Die U-Bahn (aber auch die Busse) waren so voll, daß wir während unserer Anfahrten sehr oft und unbequem stehen mußten.

Für die Auswahl spielte auch die Nähe zu einer U-Bahn-Station eine Rolle. Außerdem sollte das Hotel wenigsten drei Sterne = *** , ein Restaurant und Zweibettzimmer mit getrennten Betten haben und die Visa-Karte akzeptieren. Mutig buchte ich das erste Mal in meinem Leben Flug und Hotel "online".

Da ich Wert darauf legte, den Flughafen Heathrow zu benutzen, weil dieser Flughafen als einziger Londoner Flughafen U-Bahn-Anschluß hat, kamen Billigflüge nicht in Frage. Sie waren über Ostern ohnehin schwer zu bekommen. Ich buchte bei der British Airways. Der Service bei der BA war gut.

Das Exhibition Court Hotel, gebucht online bei www.inthotels.com, wurde als *** - Hotel angeboten und war eine Absteige primitivster Art, also ein totales Desaster. Ich werde darauf verzichten, Ihnen die Einzelheiten zu erzählen. Ich habe mich nach der Rückkehr aus London mit inthotels.com per Brief und Email in einem sehr harten Ton auseinandergesetzt, mit der Folge, daß Sie das Exhibition Court Hotel unter www.inthotels.com nicht mehr finden. Es kann durchaus sein, daß das keine besondere Heldentat war. Vielleicht lagen noch andere Reklamationen vor. In der letzten Email, die ich von inthotels.com erhielt, stand folgende Antwort auf meine Frage, wie die Hotels zu ihren Sternchen kommen, >> Die Klassifizierung eines Hotels wird vom Tourismusverband der jeweiligen Stadt/Gemeinde veröffentlicht <<. Demnach hat sich der "Tourismusverband London" ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt und alle anderen besseren *** - Hotels desavouiert.

Inthotels.com habe ich des Betruges bezichtigt, was diese natürlich empört zurückwiesen. Ich weiß, daß Betrug in Deutschland einen rechtsfreien Raum abdeckt, weil der Betrogene, also der Geschädigte immer Vorsatz nachweisen muß. Zumindestens ist aber inthotels.com seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen. Das bleibt an dieser Internetfirma hängen.

Mein Besuch in London war mein vierter in meinem Leben. Ich war vor Ostern 2005 das letzte Mal Ostern 1981 in London. Die Stadt machte diesmal auf mich einen sehr hektischen Eindruck. Alles ist kommerzialisiert. Bei "Madame Tussaud's" ist jetzt in jedem Raum ein Andenkenstand und man kann fast alle Figuren umarmen, abküssen und abtatschen. Das Publikum ist nahezu hysterisch. Im "Tower" wurden, im Gegensatz zu früher, keine Führungen angeboten. Die Menschenmassen werden überall "durch einen großen Wolf" gedreht und kommen an anderen Ende erschöpft wieder zum Vorschein. Das gilt für fast alle Sehenswürdigkeiten. Nur in den Parks konnte man etwas Ruhe finden. Im "Britischen Museum" brauchten wir kein Eintritt zu bezahlen.

Die Straßen der Londoner City und darüber hinaus, auch die Parks, sind mit Video-Überwachungs-Geräten gut versorgt. Sie können nicht unbemerkt in der Nase popeln. Nach meiner Rückkehr nach Berlin wurde mir berichtet, daß es durchaus passieren kann, daß Ausschnitte aus diesen Videoaufzeichnungen am nächsten Tag im englischen Fernsehen gesendet werden. Da wurde der Geschlechtsverkehr eines jungen Pärchens im Park aufgezeichnet. Die Wiedergabe des öffentlichen "Sex" kostete dem jungen Mann den Arbeitsplatz. Liebe Leser, Sie können nun verstehen, wie wichtig auch deutschen Parteipolitikern die Video-Überwachung in Straßen und Parks ist und was uns bevorsteht, wenn unsere "Law und Order -Freaks" sich durchsetzen.

Über die politisch-wirtschaftlichen Zustände in London/England kann ich naturgemäß nicht viel aussagen. "Von außen gesehen" und die Menschen im Blick, die ich auf Londons Straßen gesehen habe, hat die "New Economy" der vergangenen Premierministerin Thatcher, zusammen mit der Globalisierung, das Land und die Menschen voll im Griff, obwohl der Labour-Premier Blair schon lange an der Macht ist. Viele Menschen machen einen angespannten Eindruck, auch wenn auf der anderen Seite die hohen Eintrittsgelder zu den Sehenswürdigkeiten bezahlt werden. Ich will die Folgen der New Economy bzw. der Globalisierung auch an dem Zustand der privatisierten Metro (U-Bahn) festmachen: Sie ist teilweise verwahrlost, was insbesondere auf die technischen Anlagen zuzutreffen scheint. Sehr deutlich ist das dort zu sehen, wo die U-Bahn im Freien fährt.

In der Nähe unseres Hotels gab es einen Supermarkt, der, die Feiertage ausgenommen, rund um die Uhr geöffnet hatte. In diesem Supermarkt gab es eine gut besuchte "Bio-Ecke". Das Angebot an Lebensmitteln entsprach in weiten Teilen dem Warenangebot eines Berliner Supermarktes. Die Preise ähnelten sich ebenfalls.

Nils hat seine Sache, nämlich für sich und für mich möglichst viel Englisch zu sprechen, sehr gut gemacht. Er war wesentlich daran beteiligt, daß trotz des schlechten Hotels die Stimmung gut blieb. Die eine Woche London war für ihn sicher ein Erfolg und für mich trotz alledem ein Vergnügen (und eine Erfahrung mehr).

 
Martin Rust - Mai 2005    
Eine Berliner Institution verschwindet: der Mythos "Tresor", Wiege des "Techno", hat geschlossen  
     
 

Das Wochenende vom 16. / 17. April war mit Sicherheit ein ganz besonderes für Dimitri Hegemann. Nach Anfängen als Technoparty-Veranstalter ab 1988/89 im alten West-Berlin eröffnete der Mauerfall auch ihm ungeahnte Möglichkeiten. Ende 1990 entdeckte Hegemann an der Leipziger Straße, damals noch wenig mehr als ein Feldweg, die alten Tresor-Kellerräume des verschwundenen Wertheim-Kaufhauses und eröffnete dort die "Mutter aller Technoclubs" weltweit. Durch Hegemanns musikalische Verbindungen zu DJs der Detroiter House-Szene und der sich daraus entwickelnden Synthese mit europäischen und auch wiederum besonders Berliner Einflüssen im Bereich der elektronischen Klänge entstand bald eine weltweit bekannte Location, die in den letzten Jahren in allen internationalen Reiseführern und sogar im MERIAN als ein "Muß" aufgelistet wurde. Bis zum letzten Tag strömte das Publikum, und der "Tresor" war auf dieser Ebene wohl wirklich die erste Adresse für die Crème der internationalen House- und Techno-DJ-Szene. Hier gebührt Dimitri Hegemann tatsächlich eine große Anerkennung für die Weiterentwicklung und Förderung der elektronischen Musik. Das Musiklabel "Tresor" wird den Club auch überleben, dessen Gäste in den letzten Jahren ohnehin ganz überwiegend aus arbeitslosen Brandenburger Berufsravern und englischen Provinztouristen bestand. Insofern hatte die Mythenbildung weltweit eigentlich schon Jahre vor dem faktischen Ende eingesetzt.

Was also stellte der "Tresor" als Club in der Welt der Realität dar, jenseits aller elektronischen Klänge und Töne? Die Antworten sind aufschlußreich. Nach außen: An erster Stelle spätestens seit 1995/96 ein Aushängeschild der Berliner Tourismuswerbung national und international. Den verschiedenen Berliner Innensenatoren, auch der Polizei, war diese Tatsache stets bewußt und sie handelten entsprechend bzw. auch nicht. Für Dimitri Hegemann: Die cash-cow (Geldabwerfmaschine), mit der der "Berliner Gastronom" - so die "Berliner Morgenpost" anläßlich seiner ersten "reputierlichen" Erwähnung 2000 dort nach all den Jahren im underground - sein kleines Gastronomiereich finanzierte: eben seit dem 16. April 2000 die Bar "Trompete" am Lützowplatz (zusammen mit dem Schauspieler Ben Becker) und das SchickiMicki-Restaurant "Schwarzer Rabe" in der Alten Schönhauser Straße in Berlin-Mitte. Seitdem vermied Hegemann jede öffentliche Assoziierung als Betreiber des "Tresor" in den Medien außerhalb der Techno-Magazine, wie er umgekehrt dort niemals als (Mit-) Betreiber der anderen Betriebe auftauchte. Für nicht-technoide gleichwohl informierte Berliner und die Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums (besonders Donnerstags morgens in der schönen Jahreszeit, wenn letztere an der Ampel zur Straßenüberquerung warteten und ihnen immer wieder einzelne oder Grüppchen von Menschen mit hochroten Gesichtern aufgrund völliger Überdosierung von Partydrogen und Alkohol entgegen kamen): eine Drogenhöhle allerersten Ranges in dieser Stadt (es gab und gibt aber noch mehr, wo die Stadtverwaltung ebenso "wegschaut"). Wer nur einmal den "verwunschenen Chill-out-Garten" (so die "Morgenpost" am 16. April 2005 - also das Außengelände des Clubs - mit nichtglasigen Augen gesehen hatte, fühlte sich eher an Szenen aus Dantes "Inferno" oder an apokalyptische Visionen Dürers erinnert als an die guten Feen aus dem Märchenland, obwohl mit Sicherheit die meisten der dort Chillenden genau DAS dort erblickten.

Doch Politik und Wirtschaftsinteressen und Drogen sind nur 70% der Wahrheit, auch beim "Tresor". Entscheidend für das Verständnis des Mythos ist die Kombination von Örtlichkeit und Musik. Was ist gute "Techno-Musik" eigentlich? Es ist schwierig für den Schreiber dieser Zeilen, Musik in Worte zu fassen, und es wird ihm gewiss auch nur unvollkommen gelingen. Musik ist immer Geschmacksache, aber gute elektronische Tanzmusik basiert immer auf eingängigen repetetiven Taktfolgen, oftmals angereichert durch mehrere andere Ebenen von Melodien und Klängen, in der Tiefenstruktur sozusagen ähnlich einer Mischung aus Mozart und Marschmusik, ausgeführt durch den Klangkörper eines kompletten Orchesters. Durch die Wiederholung des Beatrhytmus wird bei vielen ein Tranceeffekt erzielt, intensiviert durch Hitze und eine Beschleunigung der Blutdruckfrequenz. Dazu Partydrogen wie Ecstasy und Amphetamine (Beschleuniger), die ein Verschmelzen der Psyche mit der Musik herbeiführen können. Und darauf noch der genius loci, die Magie des Ortes des Wertheim-Kellers mit seinen dicken Wänden und umgeben von der Ruinenlandschaft der ehemaligen Ministerialgebäude an der Wilhelm- und an der Voßstraße.

Wie wirkten diese Einflüsse auf den Gast? Zwei Gedichte eines regelmäßigen Besuchers des "Tresor" mögen das illustrieren. Beide schrieb Martin Hirschfeld, (Berlin) während einer Nacht im Club.

Mythos "Tresor"? Mit Sicherheit gilt das für den Ort. In vierzehn Jahren wanderten mehrere Generationen von Clubbesuchern, also zig-Tausende, durch die alten Gemäuer. Ein Dok-Film des englischen Regisseurs Mike Andrawis zur Erinnerung existiert schon. Die Legendenbildung kann beginnen und am Ende siegt die ökonomisch-pragmatische Realität, natürlich verkörpert durch Dimitri Hegemann. In dem letzten aufwendig gestalteten Flyer für den "Tresor" an der Leipziger Straße ließ der "Berliner Gastronom" klein den Satz drucken: "Achtung: Tresor im Exil. Ab dem 20. 04. 2005 in der MARIA am Ufer! ...Es bleibt alles, wie ihr es kennt, nur die Location ändert sich. Eintritt: 3€" . Um den Übergang dorthin möglichst nahtloskurz zu halten verließen die letzten Gäste der Samstag/Sonntag-Abschlussparty den "Tresor" erst im Glanz der späten Nachmittagssonne des Montag, mit Sektflaschen in der Hand. Na denn prost, Dimitri!

 
     
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