Martin Rust - November / Dezember 2004    
"Klein-Ruppin Forever" - ein Herbstmärchen?  
     
 

Wo liegt Klein-Ruppin? In einem Film-Märchenland, beidseitig angesiedelt östlich und westlich von Elbe und Werra. Wo liegt das Kosmos-Kino? Ein Ort mit deutsch-deutscher Gegenwart (und übrigens günstigen Kinoeintrittspreisen montags bis donnerstags), schon weniger märchenhaft gelegen an der Frankfurter Allee zu Berlin-Friedrichshain. Und was hat das Herbstmärchen (und damit ja der indirekte Verweis auf Heine) mit dem ganzen zu tun? Und warum sollte man sich den Film anschauen, auch wenn man älter als 18 ist?

"Klein-Ruppin Forever" ist ein deutscher Film dieses Spätsommers unter der Regie von Carsten Fiebeler. Formell kommt er zunächst als eine Verwechslungskomödie und Liebesromanze daher, angesiedelt im Jahr 1985. Der 18jährige Tim (Tobias Schenke in einer Doppelrolle) aus reichem Hause trifft zufällig bei einer Ein-Tages-Klassenfahrt von Bremen nach Klein-Ruppin / DDR zunächst auf Jana (sehr überzeugend lebendig: Anna Brüggemann) und dann auf seinen eineiigen Zwilling Ronny, der als Baby in der DDR zurückblieb. Ronny schlägt Tim bewusstlos und tritt in seiner Rolle als "Westler" im Schulbus die Rückfahrt nach Bremen an. Tim, von allen als Ronny angesehen, findet sich in der "Nischengesellschaft" der DDR wieder; die Repräsentanten des Systems zwingen ihn, sich dem alltäglichen DDR-Alltag anzupassen. Obwohl ihm zunächst niemand glaubt, entdeckt er vor allem durch Jana, seinen Ost-Adoptivvater Erwin (wie immer die Facetten seines Charakters ausspielend: Michael Gwisdek) und Ronnys Freunde liebevolle und persönliche Seiten des Lebens, die er bei allem Wohlstand im Westen innerlich vermisst hat. Nach einigen Wochen bietet sich Tim/Ronny jedoch als Mitglied des lokalen Schwimmkaders die Möglichkeit zu einer Wettkampfteilnahme genau in Bremen. Dort sucht er Ronny/Tim und seine West-Adoptiveltern auf. Die ganze Sache scheint aufzugehen, weil für alle das neue Arrangement vorteilhaft erscheint, einschließlich der Tennis-Akademie in Florida für Tim - wenn da nicht Jana als große Liebe in Klein-Ruppin wäre. Tim sitzt schon im Taxi zum Flieger nach USA. Doch er entschließt sich, mit der DDR-Mannschaft nach Klein-Ruppin zurückzukehren, wo nicht nur Erwin und der menschelnde Stasi-Mann auf Tim/Ronny warten, sondern vor allen Dingen Jana ihn überglücklich in die Arme schließt. So hat Tim auf seiner "Heldenreise" buchstäblich zu seinem besseren Ego gefunden und kann mit Jana eine gemeinsame Zukunft in der DDR planen.

Carsten Fiebeler hat mit "Klein-Ruppin Forever" einen Märchenfilm gedreht, der eines Tages mit Sicherheit in der Retrospektive der Berlinale laufen wird, wahrscheinlich gleich neben "Berlin is in Germany". Das Märchenhafte bezieht sein Film aus der Zeit, in der er angesiedelt ist, 1985. Der Schreiber dieser Zeilen kennt die späte alte Bundesrepublik aus eigenem Erleben. Fiebeler trifft trotz einiger Überzeichnungen die Atmosphäre der damaligen Zeit durchaus, wie sie sich für Jugendliche des wohlhabenden Mittelstandes darstellen konnte. Erhellend ist aber die Sichtweise auf die DDR in diesem Film. Fiebeler, man merkt es, möchte die aus heutiger Sicht allzu gängigen West-Klischees über die DDR vermeiden. Auch die Nebendarsteller für das Leben im Osten sind schon visuell gut und ohne Arroganz ausgesucht; jeder, der häufiger in der DDR war oder Transit gefahren ist, wird dem zustimmen können. Unstimmigkeiten wollen wir einmal beiseite lassen - so etwa das Tragen einer offiziellen DDR-Badekappe mit Adidas-Schriftzug (ein "Merchandising-Märchen"?), das Mitführen einer Video-Kamera in die DDR und vor allen Dingen die Darstellung des Grenzregimes bei Tim/Ronnys Fluchtversuch. Letztere ist dramaturgisch gleichzeitig ein filmischer Wendepunkt für den inneren Wandel des Protagonisten. Und hier ist es auch, wo der Film seinen eigentlichen Charakter als romantisches Märchen offenbart.

"Klein-Ruppin Forever" zeigt unterschwellig die DDR so, wie der uninformierte West-Bürger und eben besonders die West-Jugend sich die DDR Mitte der achtziger Jahre vorstellten - falls sie überhaupt eine Vorstellung über Ostdeutschland besaß. Nur ist es eben eine romantisch-gefühlvolle Seite, die Tim sich letztendlich für die DDR entscheiden lässt. Das Märchenhaft-Unreale wird vollendet, weil bekanntlich nach 1990 andere seiner Generation dann als ignorante Sendboten genau desjenigen Wertesystems kommen werden, gegen das sich Tim bewusst ausgesprochen hatte. Tims kuscheliges Klein-Ruppin wird verschwinden ebenso wie der selbstverständliche Wohlstand des westdeutschen Mittelstandes; am Ende wird das globalisierte neoliberale und orientierungslose Deutschland stehen, dessen Kanzler diesen Herbst geschichtsvergessen das Symbol des Zusammenkommens von West und Ost am liebsten abschaffen würde. Ein Albtraum-Märchen.

So können wir "Klein-Ruppin Forever" als einen Film begreifen, in dem sich im Subtext die Sehnsucht nach getrennt-gemeinsamen "märchenhaften" Zeiten ausdrückt, deren Verluste jetzt erst allmählich sichtbar und fühlbar werden. Die Bedeutung von Fiebelers Film erweist sich in der rückwärtigen symbolischen Illustration dessen, an was es dem gegenwärtigen Deutschland als innerstes strukturelles Kernproblem mangelt: ein Gefühl für das, was uns zusammenhält und unser gemeinsames Zusammenleben in Zukunft überhaupt tragen soll.

 
     
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