Dieter Kersten - Oktober 2001    
Konzert: Wagner in Israel
Theater: Grumberg "Das Atelier "
 
     
 

Im März 2001 hatte ich eine kurze Nachricht über den Berliner Daniel Barenboim, Bürger jüdischen Glaubens, Israeli, gebracht, der sich über den fehlenden deutschen Patriotismus äuüerte. Nun hat der Künstlerische Leiter der Staatsoper Berlin ein Konzert in Israel gegeben und, als Zugabe, das Tristan-Vorspiel von Richard Wagner (1813-1883) spielen lassen. Als er die Zugabe ankündigte, gab es eine erregte Diskussion mit Teilen des Publikums, von denen dann einige, als die ersten Töne des Musikstückes erklangen, den Saal verlieüen. Die veröffentlichte Meinung in Israel war teilweise sehr aufgeregt, obwohl nicht wenige darauf hinwiesen, daü es im Musikhandel Israels CD`s und Schallplatten mit Wagners Musik vollständig zu kaufen gibt. Wagner war Antisemit; er hat sich eindeutig geäuüert. Er war Antisemit, obwohl er, Wagner, von Meyerbeer (1791- 1864), Deutscher und ein getaufter Jude, in einer Zeit protegiert wurde, als es ihm künstlerisch noch nicht gut ging.
Ich möchte Ihnen einen kleinen Ausschnitt aus einem Beitrag von Gerhard Müller in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 20. Juli nicht vorenthalten, der sich mit Barenboims Besuch in Israel und der dort entflammten Diskussion befaüt. Der Beitrag hat die Überschrift Der Feuer-Melder und die Unterüberschrift Die Zielfigur des Hasses ist er selbst - Wer die Rezeptionsgeschichte Wagners in Deutschland studiert, der studiert die Geschichte der deutschen kulturellen Identifikation im 20. Jahrhundert. Ich zitiere: ... Erst blickte man auf ihn (auf Wagner) mit der Brille Goethes, später mit der Brechts, Adornos und Blochs. Die Rembrandt - Deutschen und Goetheaner machten Siegfried zum Über-Egmont und Taten-Faust - er trüge, ein Zu-und Um-sich-Hauender, den Namen mit gröüerem Recht - Elsa zum aristokratischen Helden-Gretchen, Tannhäuser zum deutschen Tasso und Tristan zum nordischen Werther. Man übersah das Wichtigste. Goethes Helden bleiben sich und ihren Idealen treu, und wenn sie darüber zugrunde gehen. Wagner Figuren verraten sie, und darüber geht zuletzt die Welt zugrunde. Die manichäische (Anmerk. D.K. Manchäismus = von Mani gestiftete dualistische persisch-hellenistisch-christl. Mischreligion) Einteilung der Welt in Gut und Böse, die der klassischen Literatur ihren enthusiastischen Zug gibt, fehlt bei Wagner. Seine Gestalten sind ambivalent (Anmerk. D.K. : doppelwertig) und verführbar, aus guten Absichten erwachsen böse Folgen, das Gewollte verkehrt sich in sein Gegenteil. Keiner kann sich seiner selbst gewiü sein. Jeder ist davon gefährdet, von einem ehrlichen Mann zu einem Verräter, von einem aufrichtigen Freund zu einem Mörder zu werden, und wer es unternimmt, der Welt seinen Errettungswillen aufzuzwingen, organisiert ihren Untergang. Das verstand man in Deutschland so lange nicht, wie man selbst mit dergleichen Weltrettungsplänen beschäftigt war, die so endeten wie die Götterdämmerung. Das sind Geschichten, die er erzählt. Sie haben sich überaus tragisch bewahrheitet.... Der Autor zitiert dann aus Wagners Pamphlet Das Judentum in der Musik, welches 1850 veröffentlicht worden ist. Ich bringe hier lediglich den letzten Satz des Zitates, weil das für das Verständnis des dann folgenden Textes notwendig ist: > Aber bedenkt, daü nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers - der Untergang! < .Ahasvers ist der Name für den Ewigen Juden, der an der Kreuzigung Jesu mitgewirkt haben und seitdem auf der Erde herumirren soll. Der Autor des Artikels in FREITAG schreibt (dazu): Hier einmal spricht er (D.K. Gerhard Müller meint Richard Wagner) aus: Ahasver, die Zielfigur des Wagnerischen Hasses, ist Wagner selbst. Wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde tritt er in zwei Personen auseinander. Der fliegende Holländer, der Ahasver der Meere, wie ihn Heine nannte, ist Wagners erste Identifikationsfigur. Daraus folgen die anderen - Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Wotan, Parsifal. Seine Polemik gegen die Juden entlarvt sich als Freudsche Fehlleistung. Er selbst zählte sich zu jenen Auserwählten und Ausgestoüenen. Die Erkenntnis kommt ihm nicht in seinen Schriften, die seiner Kunst nicht zuzählen, sondern der Propaganda. Seine vergiftete Feder sollte ihm den Weg bahnen, den ihm, wie er meint, Meyerbeer und Mendelssohn-Bartholdy verstellten. Im Werk sieht es anders aus, da werden die Verfemten zu den groüen Epochenfiguren. Und das Erlösungswerk läuft aus den Rädern und gerät zum Selbstvernichtungswerk. Das sah er kommen. Indem er das ausspricht und gestaltet, trifft der Fluch: Der Feuer-Melder wurde fortan lange geehrt als der groüe Anzünder. Wagner war der Jeremias der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Erkannt hat man das erst spät. Vorher hob man den Toten als falschen Propheten auf den Schild und steinigte ihn, als sich seine Voraussagen als wahr erwiesen, wie den historischen Jeremias im alten Jerusalem. Das alte, falsche Wagner-Bild aber ist es, auf das Barenboims Kritiker in Tel Aviv einschlugen, während andere mit Tränen in den Augen die Tristan-Musik hörten. Man beleidigt nicht die Geschichte und schändet nicht das Andenken der Toten, wenn man eine Narrheit auch so nennt.

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Renaissance-Theater = Boulevard-Theater. Ich bin ganz erstaunt, daü das Wort Boulevard niederländisch-germanische Wurzeln hat. Ich hatte angenommen, es hat "nur" französische Wurzeln. Ich will nicht schlechtreden über das Boulevard-Theater. Merkwürdigerweise kommt es in den mir zugänglichen Wörterbüchern nicht vor. Boulevard-Blatt, Boulevard-Presse, als Sensations-Zeitung oder reiüerisch, das habe ich gefunden. Von dem Stück Das Atelier von Jean-Claude Grumberg, welches ich am 25. September gesehen habe, kann ich nicht behaupten, daü es eine Sensation ist oder gar reiüerisch. Es kommt sehr bieder daher, als Vergangenheitsbewältigung eines in Paris 1939 geborenen Sohnes jüdisch-rumänischer Eltern, nämlich des Autors selber, der damit seine Erinnerung an Vater und Mutter aufarbeitet. Das Stück spielt in der Werkstatt eines Herrenschneiders, in der neben einem männlichen Plätter nur Frauen arbeiten. Dazu kommt ein polternder Chef. Die Werkstatt befindet sich in einem Pariser Hinterhaus kurz nach dem 2. Weltkrieg, und schildert sehr gut die (persönlichen) Probleme der Menschen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, auch die, die aus der Kollaboration von Franzosen/Juden mit den deutschen Besatzern entstanden.
Im schmalen Programmheft wird Jean- Claude Grumberg als agiler und erfolgreicher Stückeschreiber geschildert. Das Atelier wurde 1979, ja wo?, uraufgeführt. In Berlin hatte es am 24. Oktober 2000 Premiere.
Das Theater war gut besucht. Das Publikum lachte viel, weil manche Szenen tragisch-komisch daher kommen. Die bürgerliche Presse, das geht aus der Internetseite des Renaissance-Theaters hervor, hat das Sujet des Stückes ( mit Gehorsam? ) lebhaft begrüüt. Obwohl alle Schauspieler sehr gut gespielt haben, bei mir gibt es Ermüdungserscheinungen bei solchen historischen Bewältigungen.

 
     
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