Dieter Kersten - November / Dezember 2000    
Oper: Poulenc "Dialoge der Karmeliterinnen"  
     
  Am 1. Oktober d.J. hatte ich eine Begegnung mit einer etwas merkwürdigen Oper. Diese Oper heiüt Dialoge der Karmeliterinnen, die Musik stammt von Francis Poulenc, vom Text heiüt es "nach dem Bühnenstück von Georges Bernanos", der sich wiederum auf eine Novelle von Gertrud von LeFort beruft, nämlich "Die Letzte am Schafott". Aufführungsort war die Deutsche Oper in Berlin - Charlottenburg. Es war die 15. Aufführung nach der Berliner Premiere am 12. November 1994, also ein in Berlin nicht sehr oft gespieltes Stück.
Bevor ich auf den Inhalt zu sprechen komme - darauf bezieht sich das Wort merkwürdig - einige Bemerkungen zu den Namen. Francis Poulenc habe ich in meinen Lexika nicht gefunden; selbst im Internet-Meyer-Lexikon ist der Komponist nicht vermerkt. Es gibt aber einige Homepage in französischer Sprache, die sich mit Francis Poulenc beschäftigen. Er ist offensichtlich ein (viel-?) gespielter, noch lebender, Komponist der Gegenwart, soweit ich es verstanden habe, auch von Konzertstücken. Vielleicht gibt es unter den Lesern jemanden, der mehr über Francis Poulenc weiü und sein Wissen preisgeben würde.
Georges Bernanos ist ein französischer Schriftsteller, der von 1888 bis 1948 lebte. Er hat, so steht es im Knaurs Lexikon der Weltliteratur, " dem theologischen Roman zu neuer Beliebtheit" verholfen .
Gertrud von LeFort, eine deutsche Schriftstellerin und, wie ich es wieder feststellen muüte, glänzende Novellistin, lebte von 1876 bis 1971, war der Herkunft nach Hugenottin und konvertierte zum Katholizismus. Es heiüt über sie in dem bereits genannten Lexikon: Sie gehört zu den profiliertesten Gestalten der deutschen Literatur unseres Jahrhunderts; in ihren Werken verbindet sich tiefste Religiosität mit einem historisch erlebten Traditionsbewuütsein.
In der Oper Dialoge der Karmeliterinnen geht es um ein Kloster bei Paris, welches in die Wirren der Französischen Revolution gerät; die Nonnen kommen zum Schluü unter die Guillotine. Glaubensäuüerungen, Glaubenspraktiken und die historischen, politischen Ereignisse ergeben einen Spannungsbogen, der von einer modernen, sehr selten melodiösen, fast atonalen Musik unterstützt wird. Für mich ist es immer wieder bewundernswert, wie Musiker, Sängerinnen und Sänger, mit einer solchen Musik auskommen. Eine erstaunliche Leistung.
Was mich erstaunt, ist die sehr strenge mystisch - katholische Ausformung einer modernen Oper. Es gibt keine Distanz zu einem (katholischen) Glauben, der von seinen Anhängern die völlige Selbstaufgabe nur für Gott und Christus fordert, ohne einen moralisch - menschlichen, gegenwärtigen, Hintergrund. Eine Selbstaufgabe, so wichtig sie für einen Menschen in einer konkreten Lebenssituation sein kann oder vielleicht auch zu erwarten ist, muü doch von den Komponenten des Glaubens und von einer darauf aufbauenden nüchternen Abwägung moralisch - menschlicher Standfestigkeit gleichermaüen bestimmt sein. Was mich ebenfalls merkwürdig berührte, war die tosende Begeisterung des Publikums; sicher, die Künstler auf der Bühne und im Orchestergraben gaben ihr Bestes, das Bühnenbild war einfach und sachgerecht. Aber der Inhalt? Er erzeugte bei mir Beklemmungen, denn er forderte nur Glauben und verneinte den Verstand. Vermerken will ich noch, daü das Haus ausgesprochen gut besucht war.
Ich habe, um den Inhalt der Oper zu verstehen, die Novelle von Gertrud von LeFort Die Letzte am Schafott gelesen. Das Urteil, welches ich dem Inhalt der Oper zukommen lasse, trifft auch die Novelle, obwohl, und dies ist eine entscheidende Einschränkung, Inhalt und literarischer Stil beim Lesen der menschlichen Phantasie mehr Freiheit gestatten, als die gesehene und gehörte Oper.
Das Buch Die Letzte am Schafott habe ich übrigens billiger im antiquarischen Buchhandel des Internets bekommen als das druckfrisches Angebot eines Verlages. Ich bin gerne bei der Beschaffung der Novelle behilflich.
 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat