November / Dezember 1999    
Konzert: Beethoven  
     
  Am 7. Oktober berichtete Joachim Mischke im Hamburger Abendblatt unter der Überschrift Oh Geld, du Geld, das mir fehlt und unter der Unterüberschrift Die gestrichene Medienzulage an der Deutschen Oper Berlin läüt viele Orchestermusiker unpäülich werden, wie bis zu achtzehn Orchestermitglieder, mit Hilfe der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), den Spielbetrieb ausbremsten. Die sensiblen Opernmusiker mit durchschnittlich 118 000 Mark im Jahr (ohne Pauschale und andere Einnahmen) streikten wegen 11 278 Mark Medienzulage im Jahr und verursachten durch ihren illegalen Boykott enorme Kosten in einem ohnehin subventionssensiblen Berliner Kulturbereich. Der Autor berichtet von der kulturpolitischen Zeitbombe in Hamburg, wo jedes Mitglied des Philharmonischen Staatsorchesters monatlich 900 Mark Medienzulage erhält, von der in Hamburg nur ungefähr 154 Mark eingespielt werden. Da die Berliner und die Hamburger Verhältnisse nicht so unterschiedlich sein werden, können wir diese Summe getrost für die Berliner annehmen: danach erhalten die Berliner Opernmusiker 9480 Mark jährlich zuviel Medienzulage. Der Autor des Artikels im Hamburger Abendblatt bezeichnet das musengerecht als Tanz um das goldene Kalb, ich würde das weniger prosaisch Parasitentum nennen.
Im übrigen ist der Beitrag von Joachim Mischke beispielgebend, weil er neben den konkreten Geldbeträgen auch Roü und Reiter nennt.
Beethoven bekam, als der sich in Wien etablierte, 4000 Gulden im Jahr, wobei er sich, solange er als Solist und Dirigent auftreten konnte, noch was zuverdiente. Das wurde unmöglich, als er nicht mehr hören konnte. 4000 Gulden im Jahr als festes Einkommen waren für einen Künstler in dieser Zeit ein glücklicher Sonderfall. Es ehrt die adligen Mäzene, daü sie den hervorragenden Geist des Meisters erkannten. Ich bin nicht in der Lage, die Kaufkraft von damals mit der Kaufkraft von heute zu vergleichen. Ich nehme mal an, daü es da kluge Betrachtungen gibt. Vielleicht gibt es Leser, die auf diesem Gebiet bewandert sind und mir Hinweise geben können.
Ich sah und hörte am Dienstag, den 5. Oktober in der Deutschen Oper Berlin (Charlottenburger Oper) Missa solemnis für vier Solostimmen, Chor, Orchester und Orgel, D-Dur op. 123 unseres groüen deutschen Komponisten Ludwig van Beethoven.
Beethoven selbst soll die Missa solemnis als sein bestes Werk bezeichnet haben. Das Stück ist, wie die 9. Sinfonie, in seiner letzten Schaffensperiode, etwa in seinem letzten Lebensjahrzehnt, entstanden, in der Zeit, in der der Meister selbst kaum mehr hören konnte, ja vermutlich völlig taub war. Die Missa solemnis ist seinem Freund und Gönner, dem Erzherzog Rudolph von Österreich gewidmet; sie sollte ursprünglich zur Inthronisation des Erzherzogs als Erzbischof von Olmütz 1820 fertig sein, konnte jedoch erst drei Jahre später überreicht werden. Die Missa solemnis ist nicht einfach ein geistliches Werk; die Musik vermittelt, ähnlich wie bei der 9. Sinfonie, den humanistischen Geist Beethovens.
Beethoven - Kenner kennen die Szene, die der Mann der Freiheit, Ludwig van Bethoven, dem Minister Goethe, dem von ihm verehrten Dichterfürsten, lieferte, als er 1812 in Bad Teplitz mit ihm spazieren ging und der kaiserlichen Familie begegnete. Beethoven ging mit untergeschlagenen Armen >> mitten durch den dicksten Haufen <<. Die hohen Herrschaften, die seine Eigenart kannten, grüüten ihn zuerst. Minister Goethe aber trat "wohlerzogen" beiseite und machte den "pflichtschuldigen" tiefen Bückling.
An dem Abend des 5. Oktober 1999 war von dem Streik der Musiker nichts zu spüren. Unter der bewährten Stabführung von GMD Christian Thielemann spielte das Orchester der Deutschen Oper Berlin in der gewohnten Präzision und Güte. Die vorzüglichen Solisten waren Noemi Nadelmann, Sopran, Ulrike Helzel, Alt, Robert Dean Smith, Tenor, Franz - Josef Selig, Bass. Vielleicht wirkte der Ernst Senff Chor unter der Leitung von Sigurd Brauns besänftigend auf die Tänzer um das goldene Kalb. Der Ernst Senff Chor kommt nämlich ohne Subventionen aus; ein Vorbild für die bundesdeutsche Kulturlandschaft, nicht nur materiell, sondern auch musikalisch.
 
     
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