Dieter Kersten - Mai 1999    
Konzert: Mozart, Bach, Mahler & Schubert
Theater: Brecht "Der gute Mensch von Sezuan"
 
     
  Das 3. Abonnements - Konzert des DEUTSCHEN KAMMERORCHESTERS im Kleinen Saal des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt fand am 26. März statt. Gespielt wurden Wolfgang Amadeus Mozart / Johann Sebstian. Bach ( 3 Fugen mit langsamen Einleitungssätzen KV 404a), Johann Sebastian Bach, Gustav Mahler / F. Schubert (Quartett d-Moll "Der Tod und das Mädchen" für Streichorchester bearbeitet). Der schräge Strich zwischen den berühmten Meistern besagt nur, daü Mozart Bach bearbeitet hat und Mahler Schubert. Das Konzert F-Dur für Oboe, Streicher und Basso continuo, dessen Komponist Johann Sebastian Bach alleine verantwortlich ist, ist vom Meister selbst aus mehreren früheren Kompositionen zusammengesetzt. Aus den Begleittexten des Programmheftes geht hervor, daü die Bearbeitungen und Zusammensetzungen in der Musikwelt umstritten sind, und, was die Bearbeitungen betrifft, zum Teil mit dem Wort Plagiat versehen wurden und werden.
Die Stabführung hatte Burkhard Glaetzer, der auch als Oboe - Solist brillierte. Während Mozart/Bach mich fast einschlafen lieü, waren die beiden anderen Stücke lebhaft und themenreich.
Der beginnende Frühling machte es möglich, daü der Gendarmenmarkt von einigen Straüenmusikanten bespielt wurde, die alle ihr Instrument vorzüglich beherrschten. Auf der einen Seite mag ich die Bettelei nicht, auf der anderen Seite entsteht ein bestimmtes heiteres Flair, welches meine unangenehmen Knieschmerzen vergessen lieü. Kunst ist ja ein eigentümliches Heilmittel, und ich kann nur wünschen, daü möglichst viele Menschen es sich selbst verabreichen.

Der nachstehende Text stammt aus der letzten Szene des Stückes, in der Shen Te bzw. Shui Ta vor Gericht steht, vor den drei Göttern:

Euer einstiger Befehl
Gut zu sein und doch zu leben
Zerriü mich wie ein Blitz in zwei Hälften. Ich
Weiü nicht, wie es kam: gut sein zu andern
Und zu mir konnte ich nicht zugleich
Andern und mir zu helfen, war mir zu schwer.
Ach, eure Welt ist schwierig! Zu viel Not, zu viel Verzweiflung
Die Hand, die dem Elenden gereicht wird
Reiüt er einem gleich aus! Wer den Verlorenen hilft
Ist selbst verloren! Doch wer könnte
Lang sich weigern, böse zu sein, wenn da stirbt wer kein Fleisch iüt?
Aus was sollte ich nehmen, was alles gebraucht wurde?
Nur
Aus mir! Aber dann kam ich um! Die Last der guten Vorsätze
Drückte mich in die Erde. Doch wenn ich Unrecht tat
Ging ich mächtig herum und aü von guten Fleisch!
Etwas muü falsch sein in eurer Welt. Warum
Ist auf die Bosheit ein Preis gesetzt und warum erwarten die Guten
So harte Strafen? Ach, in mir war
Solch eine Gier, mich zu verwöhnen! Und da war auch
In mir ein heimliches Wissen, denn meine Ziehmutter
Wusch mich mit Gossenwasser! Davon kriegte ich
Ein scharfes Aug. Jedoch Mitleid
Schmerzte mich so, daü ich gleich in wölfischen Zorn verfiel
Angesichts des Elends. Dann
Fühlte ich, wie ich mich verwandelte und
Mir die Lippe zur Lefze wurd. Wie Asche im Mund
Schmeckte das gütige Wort. Und doch
Wollte ich gern ein Engel sein den Vorstädten,
Zu schenken
War mir eine Wollust. Ein glückliches Gesicht
Und ich ging wie auf Wolken.
Verdammt mich: alles was ich verbrach
Tat ich, meinen Nachbarn zu helfen
Meinen Geliebten zu lieben und
Meinen kleinen Sohn vor dem Mangel zu retten.
Für eure groüen Pläne, ihr Götter
War ich armer Mensch zu klein.

+ + +

Es ist schon wieder fast 4 Jahre her, daü ich ein Theaterstück von Bertolt Brecht gesehen habe. Damals, im Oktober 1995 sah ich im Theater Die Kammerspiele Die Dreigroschenoper; wenn ich den damaligen Bericht heute durchlese, fällt mir auf, daü ich inhaltlich über die Brecht'sche Dichtung nichts gesagt habe. Ich kann mich entsinnen, daü ich mit dem Stück nicht sehr viel anzufangen wuüte. Ganz anders geht es mir mit Der gute Mensch von Sezuan (die Musik für die seltenen Gesangseinlagen schrieb Paul Dessau). Brecht nennt sein Theaterstück Parabelstück, wohl wissend, daü er mehrere Gleichnisse in diesem Stück untergebracht hat. Die Geschichte von Sodom und Gomorra und die Suche nach den guten Menschen, nach den Gerechten, die die Menschen mit Gott versöhnen werden, bestimmt das Stück vom Anfang bis zum Ende. Aber auch die Tatsache, daü Gerechtigkeit und Güte im Widerstreit liegen können und daü ein Mensch an seiner Güte zerbrechen kann, wird eindrucksvoll dargestellt. Es ist die Prostituierte Shen Te, die den drei Göttern Obdach gibt, die daraufhin von den Göttern belohnt wird und die, so wie sie es auch als arme Hure gemacht hat, von diesem Lohn die Armen unterstützt.
Brecht war offensichtlich ein bibelfester Mann, denn es finden sich auch Elemente der Geschichte um die Hure Rahab - siehe Josua , Kapitel 2 und 6.
Was macht man mit so viel Güte und Gerechtigkeit, wenn so viel Freigebigkeit Heerscharen der Ungerechten und der Egoisten anlockt? Wie kann man sich einer Meute von Nichtstuern und Asozialen entziehen? Brecht bedient sich des Tricks der Maske: Shen Te, Der gute Mensch von Sezuan verkleidet und verwandelt sich in Shui Ta, den geschäftstüchtigen Vetter von Shen Te, der schlieülich die Nichtstuer und Asozialen zur Arbeit zwingt.
Das Brecht'sche Lehrstück verbirgt noch eine andere Weisheit - daü Liebe nicht käuflich ist. Bei der in Der gute Mensch von Sezuan enthaltennen Liebesgeschichte geht es nicht um die käufliche Liebe zwischen Hure und dem zahlenden Freier, sondern darum, daü die Sehnsucht nach wirklicher Liebe Shen Te dazu verführt, dem stellungslosen Flieger Yang Sun, einem Hallotri, Geld, was sie sich selbst zu einem ganz anderen Zweck geliehen hatte, zu geben
Mit diesen wenigen Schwerpunkten ist Brechts Der gute Mensch von Sezuan noch nicht vollständig beschrieben und es mag Menschen geben, die mit einem anderen Blick durch ein anderes Fenster den gleichen szenischen Vorgang ganz anders sehen. Ich sah das Stück am 5. April im MAXIM GORKI THEATER in Berlin - Mitte. Die Vorstellung war, obwohl Montag, sehr gut besucht. Die Prostituierte Shen Te bzw. ihr Vetter Shui Ta wurde von der groüen Schauspielerin Katharina Thalbach gespielt, eingebettet in eine vorzügliche Ensembleleistung. Die Premiere der aktuellen Inszenierung fand am 22. November 1998 statt.
Ich komme noch einmal auf den Inhalt des Stückes, präziser, auf den Schluü zurück. Wir Menschen haben meistens den Drang nach Meinungsführerschaft, d.h., bei solchen komplizierten, jedoch dem Leben entnommenen Spiegeln unseres eigenen Lebens würden wir uns freuen, wenn der Autor diese Probleme zum Schluü lösen würde. Brecht verweigert sich aber. Die Meute der Nichtstuer und Asozialen, die sich vom Vetter Shui Ta ausgebeutet fühlen (und vielleicht sogar auch objektiv ausgebeutet werden) beschuldigen Shui Ta, seine Kusine Shen Te ermordet zu haben und zerren sie vor das Gericht. Das Gericht wiederum besteht aus den drei Göttern, die, nachdem sich Shui Ta vor ihnen als Shen Te zu erkennen gibt, sich dem Urteil entziehen, indem sie in den Himmel zurückkehren. Die Götter sind ratlos. In dem mir vorliegenden Taschenbuch aus dem Suhrkamp Verlag ist dieser Schluü sehr deutlich, sehr abrupt, konzipiert. Die aktuelle Inszenierung von Uwe Eric Lautenberg glaubt, auf allegorischen Firlefanz nicht verzichten zu können.
Bertolt Brecht, ein Klassiker deutscher Kultur, wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen und Französischen Friedhof an der Chausseestraüe in Berlin-Mitte, direkt neben seinem Wohnhaus, welches er 1949 nach seiner Rückkehr aus dem Exil zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, bezog. Bemerkenswert ist, daü der Sozialist, vielleicht auch Kommunist, Brecht in dem "ersten Arbeiter - und Bauernstaat" angesichts der dringenden Wohnungsnot in dem zerstörten Berlin ein ganzes, mehrstöckiges, Mietshaus beanspruchte.
Der gute Mensch von Sezuan wurde in den Jahren 1938 bis 1940 in der Emigration geschrieben und am 4. Februar 1943 in Zürich uraufgeführt.

Das nachstehende Gedicht von Bertholt Brecht fand ich im Programmheft, deren Redaktion es aus Sammlung >> Hundert Gedichte << des Aufbau-Verlages, 1951, entnommen hat

Was nützt die Güte
Was nützt die Güte
Wenn die Gütigen sogleich erschlagen werden, oder es werden erschlagen
Die, zu denen sie gütig sind?

Was nützt die Freiheit
Wenn die Freien unter den Unfreien leben müssen?

Was nützt die Vernunft
Wenn die Unvernunft allein das Essen verschafft, das jeder benötigt?

Anstatt nur gütig zu sein, bemüht euch
Einen Zustand zu schaffen, der die Güte ermöglicht, und besser:
Sie überflüssig macht!

Anstatt nur frei zu sein, bemüht euch
Einen Zustand zu schaffen, der alle befreit
Auch die Liebe zur Freiheit
Überflüssig macht!

Anstatt nur vernünftig zu sein, bemüht euch
Einen Zustand zu schaffen, der die Unvernuft der einzelnen
Zu einem schlechten Geschäft macht!

 
     
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