Dieter Kersten - März / April 1999    
Oper: Meyerbeers "Die Hugenotten"
Theater: Albee "A Delicate Balance (Empfindliches Gleichgewicht)"
Theater: Kästner "Das lebenslängliche Kind"
 
     
 

In der Charlottenburger Oper sah und hörte ich am 22. Dezember 1998 Giacomo Meyerbeers Groüe Oper in 5 Akten Die Hugenotten. Es handelt sich um eine Inszenierung von John Dew; es war die 23. Aufführung seit der Premiere am 9. Mai 1987. Die Oper ist in den 12 Jahren erstaunlich wenig gespielt worden: noch nicht einmal 2 Aufführungen pro Jahr.
Giacomo Meyerbeer wurde am 5. September 1791 als Jakob Liebmann Beer in Berlin geboren und starb am 2. Mai 1864 in Paris. 1842 wurde er von dem Preuüenkönig Friedrich Wilhelm IV. zum Generalmusikdirektor der Berliner Oper (Unter den Linden) ernannt.
Meyerbeers Werk Die Hugenotten wurde 1836 in Paris uraufgeführt und erfreute sich eines so groüen Zuspruchs, daü sie bis 1903 die 1000ste Aufführung erreichte, also gut 14 Aufführungen pro Jahr.
Leider merkt man dem Programmheft an, daü es aus dem Jahr 1987 stammt; es thematisiert in der damals üblichen Form die Teilung der Erde in Ost und West. Wenn ich, abgesehen von diesem Mangel, dem mit langen Dew - Monologen gespickten Gesprächsabdruck zwischen dem Regisseur, dem Bühnenbilder Gottfried Pilz und dem Dramaturgen Curt A. Roesler folgen darf, hat es sich bei der Oper Die Hugenotten von Anfang an um eine politische Oper gehandelt. Es wird die mir bisher unbekannte These aufgestellt, daü im vorigen Jahrhundert einige Opern einen direkten Bezug zu den Revolutionen hatten. Dazu werden auch Die Hugenotten gezählt.
In der Oper Die Hugenotten geht es um die Bartholomäusnacht, in der 1572 in Frankreich ein Progrom gegen die Calvinisten stattfand. Horsta Krum, Pastorin an der Französischen Kirche zu Berlin, Autorin im Programmheft, schreibt u.a.: Die Hugenotten wurden auch zu Feinden im sozialen, im ökonomischen Bereich abgestempelt. In der Oper schimmert es einmal durch. Saint-Bris gibt Anweisung, die reichen Kaufmannsviertel zu umstellen und dann loszuschlagen. Sind wir heute, fünfzig Jahre nach der sogenannten Reichskristallnacht, übersensibel, wenn wir dabei erschauern? Und klingt nicht auch der folgende Text für uns, die wir nach Auschwitz leben, bedrückend aktuell: >> La race sacrilège aura dès aujourd'hui pour jamais disparue << (die unheilige Rasse wird von nun an für immer verschwunden sein). Oder noch konkreter: >> Par le feu et par l'incendie extrerminons la race impie ... Dieu leveut! Dieu veut leur sang << (durch Eisen und Feuer löschen wir die gottlose Rasse aus. Gott will es! Gott will ihr Blut) - Texte aus der Oper. Und in dem abgedruckten, bereits erwähnten Gespräch sagt Dew u.a.: Die Calvinisten waren von der Ideologie her absolut königs- treu. Es gab also keinen Grund, sie politisch anzugreifen. Da aber ihre Lehre auch Arbeit und Strebsamkeit propagierte, stieg ihr Besitz und Ansehen, schlieülich wurde dies als Bedrohung empfunden. Der Kampf war letztlich ein Kampf um marktwirtschaftlichen Vorteil, und das ist im Grunde die menschliche Geschichte seit Adam und Eva.
Wenn ich diesen beiden Zitaten folge, und ich folge ihnen gerne, dann ist Auschwitz kein deutsches Problem alleine, sondern, mit Blick auf die Geschichte, ein jüdisch-christliches Problem, welches, nimmt man die jüdische Geschichte des Alten Testamentes hinzu, nun schon 5000 bis 4000 Jahren (je nach Geschichtsauffassung) einen Teil der Menschheit beherrscht. .Die jüdische Geschichte des Alten Testamentes und der überkommenen Geschichtsschreibung ist eine Geschichte einer maülosen Arroganz gegenüber anderen Völkern und Kulturen, eine Arroganz, die vom verkirchlichten Christentum nahtlos und kritiklos übernommen worden ist. Die amtschristliche Verbindung mit dem römischen Recht tat ihr übriges. National-Sozialismus und der bisher praktizierte Sozialismus sind Kinder dieses Verbundes von römischen Recht und der jüdisch-christlichen Kultur.
Diese interessanten Fragen (und es sind immer noch Fragen!) stellt sich kein Opernregisseur, der sich im Mainstream der Zeit befindet. Dennoch ist die Inszenierung politisch. Dew läüt die Katholiken in nazi-ähnlichen Uniformen auftreten und in einer Szene wird dann auch der Hitlergruü markiert. Er begründet das auch noch folgendermaüen: Es wäre auch von der Schwerterweihe in diesem Zusammenhang zu sprechen. Ich bin überzeugt, daü Goebbels dieses Stück gekannt und studiert hat und danach seine Zeremonien aufbaute, so frappierend ähnlich sind die Waffenweihen der Nazis. Meyerbeer zeigt hier eine Mentalität, die es schon immer gab. ....
Ich sehe mich in diesem Fall auüerstande, die Frage nach der Zulässigkeit der politischen Modernisierung einer 150 Jahre alten Oper eindeutig zu beantworten. Es bleibt ein unbefriedigtes, komisches Gefühl.
Die Musik Meyerbeers ist packend; Aus dem Programm - Heft erfuhr ich, daü keine Oper von einem Komponisten mit so vielen Versatzstücken versehen wurde, wie Die Hugenotten, und das über Jahre. In dem Archiv der Pariser Oper sollen noch ca. 45 Minuten bisher nicht gespielte Musik des Komponisten zu dieser Oper lagern.
Chris Merrit, der den protestantischen Edelmann sang und spielte, hatte das Problem, welches ich schon einmal beschrieb: er muüte sich einsingen. Das Problem war so deutlich, daü er am Schluü Buhrufe einstecken muüte, die er dann wiederum nicht verstand. Warum singt sich ein sonst ansich passabler Tenor nicht vorher ein?
Hören und sehen Sie sich Die Hugenotten mit kritischem Verstand an. Es lohnt sich!

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Am 28. Januar sah ich in Berlin-Mitte in dem Theater KAMMERSPIELE das Stück von Edward Albee A Delicate Balance (Empfindliches Gleichgewicht). Ich bedaure, schreiben zu müssen, daü mein empfindliches Gleichgewicht, d.h., auch meine Zuneigung zu den KAMMERSPIELEN, wie auch zum DEUTSCHEN THEATER, siehe die Februar - Ausgabe, sehr gestört ist. Die nach wie vor guten Schauspieler der beiden Häuser, in diesem Fall der KAMMERSPIELE; müssen, zum Teil nuschelnd, drei Alkoholiker und drei Psychopathen darstellen. Der Inhalt, ein us - amerikanisches Familien - und Freundschaftsdrama, ist so banal wie die Levinski - Affäre, würde diese nicht gerade im Oval Office des Weiüen Hauses spielen und den Präsidenten betreffen. Das Publikum, welches höchsten einen Drittel der Plätze besetzt hält, ist für jeden Witz und für jede Schlüpfrigkeit dankbar, lacht und klatscht dann auch. Das Programmheft ist verkrampft intellektuell aufgemacht. Edward Albee, 1928 geboren, ist vielen vielleicht als Autor des Stückes Wer hat Angst vor Virginia Woolf? bekannt. Damit versucht das Theater Reputation zu erlangen. Wenn der Intendant der beiden Häuser, Thomas Langhoff, so weiter macht, dann werden die Theater vermutlich bald geschlossen sein. Die Konkurrenz von Fernsehen und anderen Unterhaltungen ist eben groü.

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Welch ein Unterschied zu Edward Albee's A Delicate Balance! Am 18. Februar sah ich vor ausverkauften Haus in der KOMÖDIE am Kurfürstendamm Das lebenslängliche Kind, nach dem Roman Drei Männer im Schnee von Erich Kästner.
Erich Kästner, geboren am 23. Februar 1899 in Dresden, gestorben am 29. Juli 1974 in München, trat bereits vor 1933 mit satirischen Texten gegen Militarismus, den aufkommenden Nationalsozialismus, Spieübürgertum und Dummheit hervor, z.B. in seinen Romanen Fabian und Gesang zwischen den Stühlen. Wegen seiner politisch - kaberettistischen Texte hatte er im 3. Reich Schreibverbot, obwohl die UFA zu ihren Jubiläum das Buch für den Film Münchhausen von ihm schreiben lieü. Berühmt geworden ist er freilich durch seine Kinderbücher, in denen seine ganze Liebe und Wärme zu den Kindern spürbar ist.
Die Premiere der jetzigen Inszenierung durch Rolf von Sydow fand am 18. Dezember 1998 statt. Drei Männer im Schnee ist 1934 entstanden und im gleichen Jahr schrieb er an Hand des Romans die Komödie Das lebenslängliche Kind. Es geht um die Gerechtigkeit, ein Wort, welches ja in der letzten Zeit sehr oft in den Mund genommen wird. Ein Millionär der "alten Schule" aus Berlin-Grunewald, Geheimrat Schlüter, hat unter einem erfundenen Namen an einem Preisausschreiben einer seiner eigenen Firmen teilgenommen und den 2. Preis, einen Aufenthalt in einem Luxushotel in einem Wintersportgebiet gewonnen. Er beschlieüt, dort als ein armer Mann aufzutreten, um einmal zu erleben, wie ein solcher inmitten von Luxus empfangen und behandelt wird. Das ergibt allerhand Verwicklungen und wirklich komische Situationen, weil Tochter Hertha, Hausdame (Haushälterin) Mensing, der Diener Seidelbast, der arbeitslose Akademiker und Gewinner des 1. Preises Dr. Georg Scheinpflug, die mondäne Frau von Haller mit ihrem Baron Rähnitz, der Hoteldirektor und sein Hotelportier sich als handelnde Personen eigenen Interessen nachgehen. Das Vorurteil von Geheimrat Schlüter, daü arme Leute selbst dann schlechter behandelt werden, wenn sie mit gleichen Rechten auftreten, erfüllt sich. Auf der anderen Seite aber wird das Menschliche durch den armen Dr. Scheinpflug, der vom Hotel versehentlich als reicher Mann behandelt wird, sichtbar; er schlägt sich auf die Seite des inkognito auftretenden Geheimrats Schlüter, der dann schlieülich sein Schwiegervater wird. Das fröhliche Stück hat ein fröhliches Ende und schlieülich viel Beifall für die Schauspielerinnen und Schauspieler.

 
     
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