Dieter Kersten - Juni 1995    
Oper: Verdi "Die Macht des Schicksals"
Komödie: Moliére "Tartüffe"
 
     
 

Meine Eltern besaüen eine Schellack - Schallplatte aus der Vorkriegszeit, die in meiner Kinder- /Jugendzeit des öfteren gespielt wurde, ja, die ich selber gelegentlich auflegte, weil mir die Musik gewaltig und schön erschien. Es war DIE MACHT DES SCHICKSALS (ital. Originaltitel LA FORZA DEL DESTINO) von Guiseppe Verdi. Die Schallplatte muü noch existieren und liegt neben vielen anderen Dingen auf dem Dachboden. Leider fehlt mir die Zeit, nachzusehen, wer dirigiert und gesungen hat. Es hat immerhin ca. 45 Jahre gedauert, daü ich die Oper in der DEUTSCHEN OPER BERLIN am 2. Juni 1995 sah und hörte
Ich habe Grund genug, an dieser Stelle tief Atem zu holen, um noch einmal hervorzuheben, daü ich kein Fachmann in Sachen Oper und Theater bin. Was ich hier niederschreibe, sind Betrachtungen eines Menschen, der sich sehr für dieses Metier interessiert, aber - leider keine Zeit hat, tiefer einzusteigen. Bevor ich in die Oper bzw. in das Theater gehe, lese ich immer in den Opern - bzw. Theaterführern, die schon einige Jahrzehnte alt sind. Ich stelle verstärkt fest, daü der Schwerpunkt in den Inhaltsangaben nicht mit der Realität der aktuellen Aufführungen übereinstimmen. Das gilt auch für DIE MACHT DES SCHICKSALS: bekannt ist, daü Verdi ein italienischer Patriot war, daü er in vielen seiner Werke die sozialen Zustände geiüelte - aber - war er z.Bsp. ein Antimilitarist? Welche Rolle spielte die Kirche bei Verdi?
Während ich die Zeilen schreibe, fällt mir ein, daü meine Mutter in ihrer Bibliothek ein Textheft gehabt hat. Tatsächlich, ein Reclam - Heftchen aus dem Jahre 1951 ist vorhanden. Und deutlicher, als in den anderen Publikationen lese ich, daü bei der Welt-Uraufführung am 10. November 1862 in St. Petersburg der Zar für die Chöre die Sängerkapellen seiner Garderegimenter zur Verfügung gestellt hatte, was sicher nicht geschehen wäre, wenn sichtbar eine antimilitaristische Färbung vorhanden gewesen wäre.
Andererseits - in der Brockhaus - Enzyklopädie von 1961 steht u.a. über die Persönlichkeit von G. Verdi: Rustikale Herrschaftlichkeit, realistische Skepsis, ausgeprägter Gerechtigkeitssinn kennzeichneten seinen Charakter. Selbst von strenger Lebensführung, war er gewinnend gütig und uneigennützig wohltätig, dabei frei von sentimentalem Mitleid.
Die Aufführung, die ich sah, war die 27. seit der Premiere am 2. Oktober 1982. Es ist eine Inszenierung von Hans Neuenfels. Das 1. Bild - in diesem Fall identisch mit dem 1. Aufzug alter Lesart - spielt merkwürdig verfremdet auf einer Guckkastenbühne und unterscheidet sich damit entschieden von der weiteren Aufführung, die den ganzen Bühnenraum ausnutzt. Krieg und Kirche werden weitgehend parodistisch dargestellt und es wird der Eindruck erweckt, daü Verdi antimilitaristisch und antiklerikal war. Die musikalische Leitung hatte Niksa Bareza. Musik und Stimmen waren hervorragend. Die Oper war nicht ausverkauft; etwa ein Viertel der Sitze blieben leer. Das Programmheft ist, was Informationen betrifft, mehr als dürftig. So muü ich auch dem Reclam - Heftchen entnehmen: Die deutsche Uraufführung fand am 12. Oktober 1878 in Berlin im Kroll'schen Theater statt. Und nun wieder die Neuzeit: Dieses Theater gibt es nicht mehr. Es stand bis zu seiner Zerstörung im 2. Weltkrieg etwa dort, wo jetzt das Haus der Kulturen der Welt steht, welches als Kongreühalle erbaut worden ist und von den Berlinern als "Schwangere Auster" genannt wird.

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Am 8. Juni 1995 habe ich in KAMMERSPIELE Molières Komödie TARTÜFFE gesehen. Abgesehen mal von dem Unterschied zwischen Musiktheater und Sprechtheater: Verdi ist ein Kind des 19. Jahrhunderts und uns noch sehr nahe; Molière ist ein Kind des 17. Jahrhunderts. Die ersten 3 Akte wurden am 22. Mai 1664 in Versailles uraufgeführt, das komplette Stück am 29. November 1664 im Schloü Raincy bei Paris. Das Strickmuster - bigotter Betrüger bringt eine ehrbare bürgerliche Familie in Schwierigkeiten - paüt nicht mehr in unsere Zeit. Und deshalb ist es auch so, daü alle Tricks des Regisseurs Amselm Weber nicht ausreichten, das Stück auch nur annähernd glaubhaft in unsere Zeit zu bringen. Wenn man heutzutage ein solches Stück wieder auf die Bretter bringen will, dann wäre es sicher besser, es so zu spielen, wie es in den vergangenen Jahrhunderten gespielt worden ist. Keiner der Schauspieler konnte seine Rolle glaubhaft spielen. Mir ist auch unverständlich, weshalb die Schauspieler so schreien muüten. Dabei sind es gute Schauspieler, die hier für eine schlechte Idee miübraucht wurden. Der Zuschauerraum war auch nur zu einem Drittel besetzt. Das Programm - Heft gibt über das Stück selbst und seinen Dichter gar keine Informationen, bringt jedoch einiges zum Zeitgeist des 17. Jahrhunderts. Ein sehr interessanter Text von Voltaire fiel dabei leider der Gestaltung des Heftes zum Opfer: die Schrift ist so klein, daü ich nur mühsam den Text entziffern konnte. Das ist absoluter Humbug.

 
     
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