Dieter Kersten - März / April 2008    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

sind die Parteien noch in der Lage, die Bundesrepublik Deutschland zu regieren? In Hamburg ist die Wahlbeteiligung wieder zurückgegangen. Das Wahlergebnis ist, wie in Hessen, kompliziert. Wenn in Hamburg CDU und GRÜNE eine Koalition bilden sollten, müßten beide Parteien über ihre Schatten springen und über strittige Themen wie Kohlekraftwerk, Elbvertiefung und vieles andere von der demokratischen Basis, das Hamburger Wahlvolk abstimmen  lassen. Dazu gehören Diskussionen/Gespräche im überschaubaren politischen Raum, den Nachbarschaften. Die Kirchengemeinden könnten dazu ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Am Schluß einer Meinungs- und Willensbildung muß dann die Volksabstimmung stehen. Das Gleiche gilt für Hessen, mit anderen Themen, versteht sich.

Ich hatte es im letzten Editorial schon einmal versucht zu formulieren: Lohnerhöhungen im Öffentlichen Dienst verlangen nach Bürgerbeteiligung. Schließlich sind wir, das Volk, die Arbeitgeber. Durch die Mißwirtschaft der Parteien haben wir einerseits, unserer Kinder wegen, Schulden abzutragen, andererseits müssen wir die soziale Situation unserer Dienstleister beachten. Ein Großteil der Schulden sind in den letzten sechzig Jahren durch Wahlgeschenke der Parteien entstanden. Die militärische Rüstung tat ihr übriges. Die Zinsen für diese Schulden müssen wir alle, der „öffentliche Arbeitgeber“ und die „öffentlichen Arbeitnehmer“ = das Volk, bezahlen. Lohnerhöhungen im Öffentlichen Dienst führen zu erhöhten Preisen bei den Nahverkehrsmitteln, bei Trinkwasser und bei Gebühren und mehr - oder - es kommt zu Steuererhöhungen. Die Wachstumsideologie, Lohnwachstum gleich mehr Konjunktur gleich mehr Arbeitsplätze, war schon immer sehr fraglich. Sie wird u.a. durch eine Verlängerung der Arbeitszeit im Öffentlichen Dienst konterkariert. Diese verschiedenen Facetten unseres Zusammenlebens müssen in den überschaubaren Räumen, einer Institution, wie den Nachbarschaften, ergebnisreif diskutiert werden. Auf den Seiten 2 ff. finden Sie dazu einige Beiträge.

Mario Scalla schreibt in FREITAG vom 15. Februar unter der Überschrift Fahrtrichtung Emanzipation:> ... Aber angesichts dieser Schwundformen der Politik ist  die Verklärung früherer Zustände das Letzte, was nötig ist. Vielleicht ist damit die Dringlichkeit verdeutlicht, neu über eine politische Gestaltung und demokratische Verfaßtheit dieser Gesellschaft nachzudenken. ....  Neoliberale Herrschaft bestand stets darin, nicht über die dazugehörige Politik abstimmen zu lassen. .... Die aktuelle Orientierungslosigkeit in einem Fünf-Parteien-System ist ein Erfolg der Linken, der in keinem anderen großen europäischen Land erreicht wurde. ... <

Die meisten Entscheidungen müssen unten, in der Gemeinde, gefällt werden. Dazu gehören auch Einnahme- und Ausgabeentscheidungen. Das gefällt natürlich den Parteipolitikern und - vor allen Dingen den Bürokraten - gar nicht. Aber das ist in einer Demokratie notwendig. Heutzutage werden Gesetze meistens von den Interessengruppen, den Lobbyisten, formuliert. Die nicht kontrollierbare Bürokratie in Brüssel verkündet, der Deutsche Bundestag nickt ab und die Länderparlamente haben zur Kenntnis zu nehmen. Das ist Parteien-„demokratie“ = Herrschaft der Oligarchien.

Aus dem reichhaltigen internationalen Spektrum gibt es etwas erfreuliches zu berichten. Australiens Parlament und Regierung haben sich am 13. Februar bei den Aborigines, den „Ureinwohnern“ Australiens, für die Jahrhunderte lange Mißachtung und Versklavung entschuldigt. Das ist bei der weit verbreiteten weißen Arroganz sehr beachtlich. Mir ist nicht bekannt, daß sich Kongreß und Regierung der Vereinigten Staaten bei den Indianern entschuldigt haben, oder die Kolonialmächte bei den Kolonialvölkern. Australien muß für seine Entschuldigung gelobt werden.

Eine erfreuliche Nachricht ist auch der Konzert-Auftritt der New Yorker Philharmoniker in Nordkorea.  Gute Kultur  ist ein sehr guter  Diplomat.

Ich bin auch sehr dankbar, daß es rund um den Kosovo bisher verhältnismäßig ruhig geblieben ist, trotz der Ausschreitungen in Belgrad,  Mitrovica und anderswo. Ich möchte Sie jedoch noch auf etwas hinweisen, was ich bisher vergessen habe. In der Berliner Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL hat am  19. Februar Michael Wolffsohn in einer Kolumne u.a.  folgendes geschrieben: >.... Das Kosovo ist albanisch. Einen Staat Albanien gibt es längst. Nun haben wir also zwei „Albanien". Die entstehende Dynamik liegt auf der Hand: „Wiedervereinigung" wird das Ziel. Wer wird das vereinigte Albanien führen? Albanisch-Albanien oder Kosovo-Albanien? Nationale und religiöse Gemeinsamkeiten lösen keine Machtfrage auf. Wenn die Weltgemeinschaft das unabhängige Kosovo stärkt, was notwendig ist und was sie will, wird sie ungewollt Kosovo in einen gesamtalbanischen Machtfaktor verwandeln. Wird Albanisch-Albanien das einfach so hinnehmen? Angesichts der gesamtalbanischen Gewalttradition ist das unwahrscheinlich, zumal das Austragen von Konflikten außerhalb der Institutionen (Parlament) und nicht innerhalb der Institutionen der Tradition entspricht. Ein Doppelalbanien verändert die Kräftekonstellationen auf dem gesamten Balkan. Erst recht, wenn die „Weltgemeinschaft" beiden Albanien massiv hilft und Serbien vernachlässigt. Und Serbien wird vernachlässigt, weil es sich der Kosovounabhängigkeit widersetzt. ... denn rund 40 Prozent der Staatsbürger Mazedoniens sind ebenfalls Albaner. Längst wollen sie „los von Mazedonien". Wollen sie dann zu Kosovo-Albanien oder zu Albanisch-Albanien oder zu Großalbanien? Oder werden sie durch ihren Beitritt den einen oder anderen Teil von Doppelalbanien als Dritter und Zünglein an der Waage zum Dominanzfaktor Großalbanien küren? Konfliktfrei küren? Nein. Gewaltfrei? Zweifel sind erlaubt. Seit Jahren bemüht sich die „Internationale Gemeinschaft" um Konfliktlösungen auf dem Balkan. Ihren vermeintlich besten und hellsten Diplomaten und Politikern fiel nichts anderes ein als die Anwendung des Nationalstaatkonzeptes. Dieses Konzept ließ und läßt sich auf den nationalen und religiösen Flickenteppich Balkan nicht anwenden. ...<
Ich verweise auf mein Editorial Januar 2008, in dem ich auf den us-amerikanischen Militärstützpunkt im Kosovo hinwies. Grund genug für eine „Nationalstaats-Lösung“.

Es gibt also eine Menge Zündstoff auf dem Balkan. Um Frieden zu erkaufen, wird die EU (auch deutsche Steuergelder) Geldströme in den Kosovo leiten müssen.

Zum Abschluß möchte ich auf mein Buchangebot in der beiliegenden Bestelliste, aber auch unter www.neuepolitik.com im Internet hinweisen. Ich kann Ihnen fast jedes Buch mit ISBN-Nummer besorgen.

Die nächste Ausgabe erscheint im Mai 2008.

Ich wünsche Ihnen bis dahin gute Tage.

Mit freundlichen Grüßen
Dieter Kersten

(abgeschlossen am 19. März 2008)

 
     
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