Dieter Kersten - Februar 2008    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

in Berlin ist gestreikt worden. Alle U- und Straßenbahnen und die meisten Busse fuhren ca. vierzig Stunden lang nicht mehr. Die Wiederholung und zeitliche Ausdehnung des Streiks ist nicht ausgeschlossen. Den Schaden eines solchen Streiks haben die Benutzer und natürlich „die Wirtschaft“ zu tragen, bei der vermutlich der größte Teil der Menschen beschäftigt sind und ihren Arbeitslohn beziehen.

In den veröffentlichten Meinungen wird so getan, als seien da zwei Kontrahenten mit entgegengesetzten Interessen, „Arbeitegeber“ und „Arbeitnehmer“, die in einem „Arbeitskampf“ ihre „Muskeln spielen lassen“. Alles Vokabeln, die benutzt werden. Tatsache ist jedoch, daß die „Arbeitgeber“ und Arbeitnehmer“ die Bürger und Bürgerinnen der Stadt und des Landes Berlin sind, auch wenn die Berliner Verkehrs-Gesellschaft (BVG) privatrechtlich organisiert ist und manchmal auch „Eigenbetrieb“ genannt wird. Die BVG macht keinen Gewinn und ist noch keinem „Investor“ zum Opfer gefallen. Die BVG wird einizig und allein von den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt finanziert, entweder über die Fahrpreise oder durch Zuschüsse aus dem Steueraufkommen. Es ist die gleiche Geldtasche, nur die Konten haben eine unterschiedliche Nummer.

Die Lohnforderungen der gewerkschaftlich organisierten BVG-Mitarbeiterinnen und - Mitarbeiter, Forderungen, die ich nicht kommentieren will, sind ein klassisches Beispiel für die Notwendigkeit einer Direkten Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger müssen über Lohnstrukturen und Lohnveränderungen abstimmen. Sie müssen in freier Diskussion abwägen, wieviel ihnen die BVG und ein zufriedenes Personal wert sind, d.h. wieviel sie bereit sind, dafür zu zahlen. Damit die Diskussion zu einem fruchtbaren Gespräch führt, müssen „überschaubare Plattformen“ in den Bezirken und „Kiezen“ geschaffen werden. Wir können das „Nachbarschaften“ oder „Runde Tische“ nenen. Sie sollten nicht mehr als fünfhundert Bürger umfassen, weil sonst das notwendige Gespräch nicht mehr funktioniert. Die Geschäftsleitung der BVG, die Gewerkschaften, die Verwaltung und Regierung des Landes Berlin sind verpflichtet, die notwendigen Informationen zu geben. Nach einem ebenfalls überschaubaren Zeitraum sollte eine detaillierte Volksabstimmung stattfinden. Lesen Sie dazu die Beiträge auf Seite 2 und 3 ff dieser Ausgabe.

Der Beitrag von Norman Paech auf Seite 5 ff ist eine sehr detaillierte Bestätigung meiner Ausführung zum Kosovo im Editorial der Januar-Ausgabe. Ich wollte sie Ihnen nicht vorenthalten. Übrigens - es sind ja nicht nur die Kurden und die Basken, die sich im Bedarfsfall auf eine Anti-UN-Fehlentscheidung der „Westmächte“ berufen werden. Es sind auch die Völker Afrikas, kuturell gedemütigt durch die europäischen Kolonialherren, durch willkürliche Grenzziehungen geteilt, die einen Krieg nach dem anderen (siehe aktuell Kenia) führen könnten. Oder die Völker Chinas. Gründe, die Menschen gegeneinader aufzustacheln, gibt es meistens genug. Auch die deutsche Rüstungs- und Wohltätigkeits-Industrie profitiert davon.

Frieden bewahren muß in der Politik an erster Stelle stehen.

Sie erwarten sicher von mir, daß ich einiges zu der Welt-Finanzkrise schreibe. Ich muß  Sie vorerst mit einem Ausschnitt aus einem Beitrag von Josef Reindl unter der Überschrift >Wird das Saarland kommunistisch< in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 25. Januar zufrieden stellen: >Es ist noch keine 20 Jahre her, da war der Kommunismus als alternatives Gesellschaftsmodell restlos desavouiert und sein größter Denker ein toter Hund. Für den Kapitalismus hätte mit der unerwarteten Abdankung des indisponierten Systemrivalen ein Goldenes Zeitalter beginnen können. Die ganze Welt lag ihm zu Füßen, bereit, seine Segnungen in Empfang zu nehmen. Bessere Zeiten gab es für die Kapitalisten dieser Welt und ihre politischen Vor- und Hintermänner nie. Sie besaßen die Gelegenheit, den Beweis ihrer zivilisatorischen Mission, die ihnen Marx im Kommunistischen Manifest so emphatisch attestiert hat, anzutreten und die Welt ein klein wenig besser zu machen. Sie haben sie - das kann man bereits nach einem Herzschlag der Geschichte sagen - erbärmlich verspielt. In seiner Maßlosigkeit hat der Kapitalismus keine Anstalten gemacht, die Welt zu entwickeln, sondern ihr eine Ordnung oktroyiert, die er in seinen Stammlanden nicht zu praktizieren wagte. Wo die Welt störrisch war, hat er sie mit Krieg überzogen und wundert sich, daß eine der Antworten auf seine imperiale Anmaßung der Terror ist.<

Während Krieg mit dem demokratischen Engagement der Bürger verhindert werden muß, sollte die Wirtschaftsordnung mit dem gleichen Engagement verändert werden. Wir brauchen regionale Wirtschaftsräume mit dem Bewußtsein, möglichst viele (alle) Produkte aus dem Wirtschaftsraum zu bevorzugen. Wir müssen das Geld, welches wir in dieser Region verdienen,  regional ausgeben. Wenn wir das nicht wollen, dann werden anstatt Weltwirtschaftskrisen Existenzkrisen kommen, Hungersnöte und Kriege. Diese, die Kriege, werden schon vorbereitet, wie u.a. Texte der vorliegenden Ausgabe zeigen. Der eben zitierte Artikel in FREITAG enthält noch einen interessanten Absatz: >Gemütlichkeit als Markenzeichen einer Region zu verkünden, dazu gehört heute großer Mut. Die Ideologen der Marktradikalisierung fürchten nichts mehr als Menschen, die sich einrichten, sich selbst genug sind und ihren Wert nicht aus ihrer Produktivität ableiten, sondern aus ihrem Menschsein. Ihr Projekt ist gerade die Austreibung der Gemütlichkeit; alle sollen möglichst zu Soldaten im Produktivitätskrieg der Nationen werden. Deshalb spricht auch Peter Müller lieber vom Aufsteigerland, das die industrielle Altlast abschütteln will. Er ist zwar kein Neoliberaler, aber er möchte es sich mit denen auch nicht verderben.<

Und ebenfalls aus FREITAG gleichen Datums, aber von Wieland Efferding unter der Überschrift >Erinnerungscamps für Politiker< das letzte Zitat: >Die Ökonomen melden, die Verteilung des Reichtums, gemessen am sogenannten Gini-Koeffizienten, nähere sich in Deutschland US-amerikanischen Verhältnissen an. So könnte das Programm des Neokonservatismus in Deutschland zusammengefaßt werden. Die deutsche Gesellschaft, im Kalten Krieg zum Konsummonster am "Eisernen Vorhang" hochgemästet, sollte endlich auf kapitalistisches Normalmaß einer "stratifizierten", also einer offenen Klassengesellschaft zurückgestuft werden. Rückzug des Staates aus sozialen und ökonomischen Verantwortungen, Privatisierung, Ausdehnung von Marktmechanismen auf möglichst viele gesellschaftliche Bereiche, plus starker Staat in den administrativen und polizeilichen Bereichen, um die Folgen des härteren sozialen Klimas "abfedern" zu können - das war und das ist das neokonservative Programm.<

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

(abgeschlossen am 22. Februar 2008)

 
     
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