Dieter Kersten - Juni 2007    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

der Artikel Gipfelsturm im Wasserglas von Fred Unger in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 25. Mai, den ich auf Seite 2 ff. dokumentiere, hat mir sehr gefallen, abgesehen von der Formulierung "Aufstieg der EU zur Weltmacht". Der Begriff "Weltmacht" ist mir immer noch zu militärisch. In alter Form und Inhalt benutzt, diskriminiert er mir zu sehr die Länder und Völker, die von ihrer Geschichte her nicht so viel Know-how für Unterdrückung, Ausbeutung und Tötung anderer Völker haben, wie z. B. wir Deutschen und die Franzosen. Der Autor schränkt diesen "Gipfelsturm" dann auch selber ein, indem er schreibt: > Die Frage, ob es denn gut sei, wenn eine französisch-deutsch hegemonisierte EU zur handlungsfähigen Weltmacht aufsteigt, sei dahingestellt <.

Dieser > Gipfel <, den Fred Unger beschreibt, fand am 18./19. Mai in der russischen Stadt Samara an der Wolga statt. In meinem alten ererbten Meyers Konversationslexikon von 1909 habe ich zwei instruktive Berichte über das Russische Gouvernement Samara und seine Hauptstadt Samara gefunden. 1897 lebten im Gouvernement 224.336 Deutsche, das sind auf die damalige Zahl der russischen Einwohner bezogen immerhin 11,84 % der Bevölkerung gewesen. In meiner Brockhaus-Enzyklopädie von 1974 steht überhaupt nichts über Samara, im Internet werden Stadt und Land beschrieben, aber von den historischen Deutschen fehlt jede Spur. Vielleicht ist es das, was Putin der deutschen EU-Rats-präsidentin Merkel in Samara an der Wolga sagen wollte. Mir scheint, daß der russische Präsident gerne symbolhaftes Handeln anstelle handfester Politik setzt.

Aber nur der russische Präsident Putin? George W. Bush, eingesetzter, nicht wirklich nach den Gesetzen parlamentarischer Parteiendemokratie gewählter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, sah sich am 31. Mai veranlaßt, die Meinungs- und Entscheidungsführerschaft zum Thema Weltklima auf dem G8-Gipfel zu übernehmen. Die Aufregung war und ist groß, denn abgesehen von dem nicht überhörbaren Poltern in dieser symbolhaften Handlung wird ein Macht- und Kräfte-Bewußtsein der vermeintlich einzig übrig gebliebenen Weltmacht deutlich, welches ihr nicht mehr zukommt. Deshalb kann ich Frau Merkel nur empfehlen, vom Symbolhaften zum Grund-sätzlichen zu kommen.

Bei einer Weigerung ihres Freundes Bush, auf dem G8-Gipfel, naturfreundliche und sachlich gebotene Schritte zur Bewahrung unserer Umwelt mitzugehen, sollte sie ihren Kollegen vorschlagen, Herrn Bush als Vertreter der USA auszuladen und die Vertreter der Regierungen der Volksrepublik China, Brasiliens und Indiens einzuladen. Die Legitimation der Versammlung erhöht sich zwar dadurch nicht wesentlich, aber die Zahl der Menschen, die durch eine G10 angesprochen werden könnte, erhöht sich gewaltig.

G8 oder auch G10 ist keine Weltregierung. Eine Weltregierung könnte nur über die UNO und mit Hilfe internationaler Verträge eingesetzt werden. Es müssen dann Mechanismen geschafften werden, die es möglich machen, eine solche Weltregierung jederzeit, ohne Komplikationen, abzusetzen und einzusetzen. Das gelingt noch nicht einmal auf den nationalen Ebenen.

Wir brauchen uns nur anzusehen, welche Legitimationen die Regierungen der G8-Staaten haben. Die Völker dieser Staaten lehnen mit Mehrheit die Kriege in Afghanistan und im Irak ab. Die meisten Völker wissen, ebenfalls in Mehrheit, daß der "Kampf gegen den Terror" eine us-amerikanische Inszenierung und der Krieg in Palästina/Israel ein wilder Interessenkonflikt zwischen Eroberern und Einheimischen ist. Die Mehrheit der Völker, die unter dem Begriff G8 zusammengeführt werden, haben inzwischen begriffen, daß die "Globalisierung der Wirtschaft" zu einem Irrläufer der Geschichte und Gegenwart geworden ist. Es gibt in dieser Globalisierung keine soziale Komponente. Was die Mehrheit der Völker noch nicht verstanden hat, das ist, daß zu einer gerechten Wirtschaftsordnung ein neues Geldwesen gehört und eine Demokratie, die sich von Gruppenherrschaften zu selbstbestimmenden Gemeinschaften hin entwickelt.

Es hat durchaus viel mit dem G8-Treffen in Heiligendamm zu tun, zu behaupten, Schäuble ist nicht nur ein Brunnenvergifter, wie es auf Seite 5 heißt. Er hat mit seinen Vorverurteilungen, Verdächtigungen und Grund-rechtsverstössen, die Barrieren überwindbar gemacht, die Polizisten und Bürokraten davon abhalten, den normalen, aufgeklärten, demokratischen Bürger in Selbstbestimmung, Freiheit und Frieden zu lassen. Er hat den Verstoß des Bundespresseamtes gegen die Pressefreiheit, nämlich durch die Verweigerung einer Akkreditierung von Journalisten auf dem G8-Gipfel geschickt provoziert oder vielleicht inszeniert.

Georg Fülberth in FREITAG vom 4. Mai unter der Überschrift Big Brother ist kein Fiesling mehr: "Wem Gott gibt ein Amt, dem nimmt er seinen bisherigen Verstand und stattet ihn mit seinem neuen aus: dem Amtsverstand. So entsteht eine Charaktermaske. Eine Sammelbiografie BRD-Innenminister könnte dies eindrucksvoll belegen."

Ich bitte Sie, an dieser Stelle auch den Beitrag auf Seite 6 von Niels Boeing Orwell in grün zu lesen.

Einige Absätze aus einem Beitrag von Juliane Schumacher mit der Überschrift > Macht sieht nur live richtig gut aus < in FREITAG vom 18. Mai ist nur ein kurzes Blitzlicht über G8 in Heiligendamm: "Wenn sich die G8 Anfang Juni an der deutschen Ostseeküste treffen, schwirrt um sie ein Tross von 15.000 Mitarbeitern, Beratern und Lobbyisten. 16.000 Polizisten schirmen den Ort des Treffens ab, Tausende von Journalisten drängen sich im nahe gelegenen Pressezentrum. Fünf Stunden sind für die Gespräche zwischen den Staatschefs vorgesehen - fast ebenso viel Zeit nehmen die Termine für die vier "Familienfotos" ein. Die Symbolik der Gipfeltreffen hat die Inhalte aufgesogen, der souveräne Auftritt, das Spiel mit den Medien sind ins Zentrum der Treffen gerückt. Indes - dem hochtrabenden Bild der "Weltregierung" entsprechen die realen Kräfteverhältnisse längst nicht mehr. Die acht Staaten, die die G8 bilden, haben in den letzten Jahren an realen Einflussmöglichkeiten verloren: Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien machen ihnen im Bereich der Wirtschaft ihre Vorherrschaft streitig. Die asiatischen Staaten haben Währungsreserven angehäuft, eine Beeinflussung des Dollarkurses ist den G8 allein nicht mehr möglich. Ihre eigenen Volkswirtschaften sind ins Netz der globalen Wirtschaft eingebunden, die Nationalstaaten haben ihren Einfluß durch Reformen selbst beschnitten. Die G8 stehen wieder, wo sie einst bei ihrer Gründung standen: mit dem Rücken zur Wand. In ihrem Auftreten schlägt sich diese Entwicklung nicht nieder. Die Symbolik der Gipfeltreffen hat sich von der realen Politik gelöst, hat sich, frei von tatsächlichen Verpflichtungen, in ungeahnte Höhen geschwungen. Die G8 besitzen Macht, wo es darum geht, die Welt zu deuten. Im Kampf um Bilder und Diskurse sind sie auf der Höhe ihrer Zeit."

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

(abgeschlossen am 16. Juni 2007)

 
     
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