Dieter Kersten - November / Dezember 2006    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

führen wir  in Afghanistan und vor der Küste des Libanons einen Angriffskrieg oder einen Verteidigungskrieg? Der jetzige SPD-Franktionsvorsitzende im Bundestag und ehemalige Verteidigungsminister im Kabinett Schröder, Herr Dr. Peter Struck, hatte  behauptet, daß am Hindukusch  die Bundesrepublik Deutschland verteidigt wird. Das militärische Engagement vor der Küste Libanons wird als Friedenssicherung bezeichnet. Das Grundgesetz, auf das sich alle innerdeutschen politischen Akteure berufen, sagt im Artikel 26, Absatz 1, folgendes: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Eine nach meiner Meinung zutiefst unklare Formulierung. Die Engagements in Afghanistan und Libanon sind nach Auffassung einiger Verfassungsrechtler Angriffskriege, einiger anderer Verteidigungskriege. Die Begriffe Friedenssicherung oder Rohstoffkriege liegen offenbar außerhalb jeder verfassungsrechtlichen Vorstellung.

Wie wenig beide Kriege „klassische Kriege“  und mit den vergangenen nationalen Eroberungs- und Verteidigungskriegen vergleichbar sind, zeigt die Tatsache, daß die deutschen Soldaten in Afghanistan und vor der libanesischen Küste erheblich mehr Sold erhalten  als in den heimischen Kasernen. Der deutsche Landser des 20. Jahrhunderts würde sich alle zehn Finger lecken, könnte er heute im Soldatengrab die Gehaltszettel seiner  Kameraden der Jetztzeit lesen. Selbst als alter Pazfist muß ich meine Verwunderung darüber ausdrücken, daß die Bundeswehr bei einer Mannschaftsstärke von 250.000 Soldatinnen und Soldaten überfordert sein soll, wenn sie 14.000 davon „an die Front“ schickt. Was machen eigentlich die restlichen 236.000 Frauen und Männer?

Jeder von uns sollte sich vor Augen halten, daß die Kriegskosten, egal wie ein solcher Krieg genannt wird, Steuergelder sind, die von uns allen aufgebracht werden müssen. Die finanziellen Ergebnisse werden schließlich von den Konzernen kapitalisiert.

Die gesellschaftlichen Voraussetzungen haben sich also erheblich geändert. Die fotografierten Grabschändungen in Afghanistan schob ein General aus dem bundesdeutschen Hinterland der bundesdeutschen Gesellschaft in die Schuhe; so, als gehöre die Bundeswehr nicht zu unserer Gesellschaft. Den jungen Soldaten, die nach Afghanistan kommandiert werden, wird vermutlich ein Abenteueraufenthalt vorgegaukelt; zum Abenteuer gehört  auch ein bißchen Spaß! Foltern, Mißbrauch und Fotos vom Spiel mit Skeletten gehören dazu. Das Kriegsspiel ist zum Event geworden.

Beide Kriege, Afghanistan und Libanom, sind unaufrichtige Kriegsbeteiligungen. Die Politik belügt die Bürger, zu denen die Soldaten auch gehören.. Eigene und fremde Macht- und Wirtschaftsinteressen werden bis zur Unkenntlichkeit durcheinander gewirbelt. Das hat zur Folge, daß es keine auch noch so fragwürdige ethische Richtschnur gibt.

Der letzte  Kommentar- und Informationsbrief in diesem Jahr ist fast ein  Themenheft über Landwirtschaft und Gentechnik geworden.  Die Beiträge geben Anlaß zum Nachdenken über das, was ich immer als das „Ziel in unserer Kultur“ bezeichne: Wo wollen wir als Menschen und Bürger hin, wollen wir eine total verindustrialisierte/ dienstleistende Wachstumswelt, die natürlich Kontrolle und Bürokraten notwendig macht, oder wollen wir mündig unser Leben in Freiheit und Risiko verbringen?

Gentechnik in der Landwirtschaft bedeutet Unfreiheit. Sie macht Landwirte und Verbraucher von den Konzernen abhängig. Die Landwirte werden jedes Jahr gezwungen,  patentiertes Saatgut bei den Konzernen zu kaufen. Die Früchte aus diesem Saatgut sind unter Umständen sogar gesundheitsschädlich. Die Konzerne (und ihre Lobbyisten in der Politik) arbeiten zudem mit der Angst, wir würden infolge der steigenden Weltbevölkerung  verhungern. Abgesehen davon, daß immer mehr landwirtschaftliche Flächen brachliegen, ganze Länder versteppen und der propagierte Fleischwahn für eine zusätzliche Fehlsteuerung sorgt, hat die Erzeugung von Angst mit Unfreiheit, mit Herrschaft und Ausbeutung zu tun.

In den wohlhabenden Ländern wird ungefähr die Hälfte des geernteten Getreides an das Vieh verfüttert. Zur Bildung von einem Kilogramm tierischen Proteins müssen, je nach Tierart, fünf bis zehn Kilogramm Pflanzeneiweiß verfüttert werden. Hinzu kommt die Belastung der gesamten Natur  durch Gülle, Fäkalien und Antibiotika. Es wird befürchtet (und ist zum Teil auch schon erwiesen), daß der großflächige Einsatz von Antibiotika zu Resistenzen bei gefährlichen Erregern bei Tieren und Menschen führt.

Die gleiche Frage  nach   dem „wohin“ habe ich mir bei der Diskussion über den Luftverkehr und das Mammutprojekt Airbus A 380 gestellt. Sie muß auch bei dem Autoverkehr gestellt werden. Wir sollten uns ebenfalls die Frage nach dem „Wohin“ im  kulturell-sozialen  Bereich stellen. Können wir mit den Menschen, die Hartz IV bekommen, auf die Dauer so umgehen, wie wir es zur Zeit tun? Ich habe am 30. Oktober in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg eine Veranstaltung mit Prof. Götz Werner und dem Abgeordneten der GRÜNEN, Fritz Kuhn über das „Bedingungslose Grundeinkommen“ besucht. Im Januar 2006 hatte ich einen Beitrag von Prof. Werner zu diesem Thema gebracht. Die Heilig-Kreuz-Kirche war mit etwa 1000 Bürgern rappelvoll. Die Bürger lechzen nach neuen Ideen. Kuhn verhielt sich wie ein „Parteibeamter“, dem jede neue Idee suspekt ist, Werner bot unter tosendem Beifall seine neue Idee an. Auch hier steht die Frage nach dem „wohin wollen wir“ im Mittelpunkt. Ich nehme an, alle diese Themen und noch viel mehr werden die nächsten Ausgaben der NEUEN POLITIK füllen.

Der Beitrag von Martin Rust auf  Seite 8 hat innerhalb der Redaktionskonferenz zu hitzigen Diskussionen geführt. Ich wäre meinen Leserinnen und Lesern sehr dankbar, wenn Sie  mir Ihre Meinung mitteilen würden.

Zum Schluß noch einige Worte in eigener Sache. Ich danke allen Lesern/Abonnenten für ihr Mitdenken und Mithandeln, für ihre Abonnementenzahlungen, die oftmals über den Abo-Betrag hinaus gehen. Ich brauche jeden mehrgezahlten Euro für die Werbung.

Schmerzhaft vermisse ich Ihre Buchbestellungen, die sehr stark zurück gegangen sind. Ich kann Ihnen fast jedes Buch besorgen, welches eine ISBN-Nummer hat. Sie finden unter www.neuepolitik.com ein Buchangebot, welches sich in vielen Positionen von den Titeln in der beigefügten Bestelliste unterscheidet. Ich kann Ihnen auch so manches antiquarische Buch über das Internet beschaffen.

Allen wünsche ich ein FROHES WEIHNACHTSFEST und ein gesundes, glückliches Jahr 2007.

Die nächste Ausgabe erscheint Januar 2007.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

(Abgeschlossen am  17. November 2006)

 
     
  Diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen Download  
     
  Alle Artikel liegen als PDF - Datei zum herunterladen vor. Um PDF - Dateien zu lesen, benötigen Sie den "Acrobat Reader". Falls das Programm nicht auf Ihrem PC installiert ist, können Sie es sich hier kostenfrei herunterladen. Hompage_Acrobat