Dieter Kersten - Februar 2006    
Editorial    
     
 

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

Jacques Chirac, der französische Staatspräsident, hat am 20. Januar d.J. in einer Rede nicht näher definierten Terror-Staaten mit Atomschlägen gedroht, unter anderem zur Sicherung der "strategischen Versorgung" oder auch zur "Verteidigung von verbündeten Staaten". Jacques Chirac wetteifert mit George W. Bush und Wladimir Putin um die Rohstoffe dieser Erde. Dabei wird kein Mittel ausgeschlossen, auch nicht die atomare Verseuchung dieses Planeten. Die Französische Republik ist Mitglied der EU und der europäischen Troika (Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland), die mit dem Iran über deren Atomprogramm verhandelt. Weshalb sollte der Iran auf Atomwaffen verzichten, wenn Frankreich mit dem Einsatz dieser droht?

Rupert Scholz (CDU), von 1988-1989 Bundesminister für Verteidigung, hat am 26. Januar Atomwaffen für Deutschland gefordert. Selbst seine eigene Partei hat dieses Ansinnen zurückgewiesen. Dennoch zeigt diese Forderung, welch Geistes Kind Politiker in Deutschland sind. Mit Sicherheit hat er der Bundeskanzlerin für ihre Nahost-Tour einen Bärendienst erwiesen.

Putin, der russische Präsident, ist in einer vergleichsweise komfortablen Lage. Rußland ist, was Öl und Gas betrifft, ein Rohstoffland. Es ist außerdem ein mit wirtschaftlichen Potentialen ausgestattetes Land und es hat Atomwaffen. Es kann mit Sicherheit Staaten, die ärmer sind als Rußland oder geostrategisch ungünstig liegen, erpressen. Putin tut das mit einer gewissen „geheimdienstlichen“ Freude, was genauso unpolitisch ist, wie die Drohung Chiracs mit Atomwaffen oder die Holocaust-Verleumdungs-Reden des iranischen Präsidenten Ahmadinejad. Wir haben ein russisches Erpressungsmanöver zum Jahreswechsel in der ukrainischen Energiekrise erlebt und dieses Erpressungsmanöver schien sich gegenüber Georgien und Armenien fortzusetzen. Dort, wo die Gasleitungen „von Terroristen“ gesprengt worden sind, befinden sich russische Truppen in großer Zahl. Der Verdacht der armenischen und georgischen Regierungen war groß, daß die gewaltsame Unterbrechung der Energieversorgung gewollt ist Am 30. Januar las ich in der BERLINER MORGENPOST die kurze Notiz, daß Georgien wieder beliefert wird.

In allen drei Fällen war es die Begleitmusik, die mir mißfiel: Alle drei Staaten, so tönt es in Moskau, wollen sich nach „Westen“ orientieren - und dort sollen sie sich Hilfe holen. Zwischendurch müssen die Menschen eben erfrieren, nicht unsere Schuld.

Solche Erpressungen sind für die iranische Regierung nicht gerade ermutigend, die Urananreicherung nach Rußland zu verlagern.

Wie man die Dinge auch dreht und wendet, es bleibt nur der Massarrat-Vorschlag auf Seite 2 ff., Abrüstung und Entspannung, übrig, damit die iranische Regierung auf ihr Atomprogramm verzichten kann.

Wir wissen doch zu genau, daß das Betreiben von Atomreaktoren für die Energieerzeugung ein gefährliches Ding ist.

Am 10. 12. 2005 erhielt ich von einem Leser ein Fax mit der Mitteilung, daß er den Kommentar- und Informationsbrief NEUE POLITIK nicht mehr beziehen wolle, weil > ... es ... darin ... keine Visionen, keine Zukunftsperspektiven ... gibt. Es wird ohne Ende in der Intrigenkiste und der Aufdeckung verdeckter Skandale, Lügen etc. herumgerührt.... < Das ist genau die Begründung, die Menschen wählen, wenn sie sich darum drücken, tagespolitisch wirksam zu werden. Folter zum Beispiel, seit Jahrtausenden ein Mittel der Machtbesessenen, ist so ein > verdeckter Skandal <, der immer wieder an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden muß.

Deshalb begrüße ich ausdrücklich, daß Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem letzten Besuch in den USA die Existenz des US-Gefangenenlagers Guantanamo kritisiert.

Viel lieber wäre mir aber, wenn Frau Dr. Angela Merkel sich gegen Folter jederArt - in aller Öffentlichkeit - wenden würde, und zwar auch gegen Folter deutscher Geheimdienste und „Ausländerbehörden“. Viel lieber wäre mir, wenn die Bundeskanzlerin ihren Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble auf diese menschenfreundliche, staatsbürgerliche Richtung einschwören würde. Folter ist nicht nur eine us-amerikanische Sache, sondern auch eine deutsche Spezialität, nicht nur in unserer Vergangenheit.

Deshalb bin ich für einen Untersuchungsausschuß im Deutschen Bundestag, der die Aktivitäten des Geheimdienstes BND im Irak untersucht. Ebenfalls auf der Tagesordnung sollte das Zusammenspiel in Sachen „CIA-Folterflüge“ mit dem us- amerikanischen Geheimdienst stehen. Es ist unerträglich, wenn die Geheimdienste es für nötig erachten, die ohnehin schon unentschlossene Politik einer Bundesregierung zu konterkarieren und damit immer heftiger Demokratie aushebeln.

Aber zurück zu den Visionen unseres ehemaligen Mitlesers. Als Visionen bezeichnet der Leser > 1. Joseph Beuys’ Begriff der „sozialen Plastik < und > 2. viele Grundideen der Grünen bzw. der ökologischen Bewegung.<.

Ich gestehe, daß ich Joseph Beuys’ Begriff der „sozialen Plastik“ nie verstanden habe. Ich habe etwas gegen Begriffe, die in die Welt gesetzt werden und dann in Arbeitskreisen „erarbeitet“ (erklärt) werden müssen. Das ist die Methode von Sekten, die die Menschen an sich binden und neue Unfreiheit kreieren wollen. Der 2. Punkt der Visionen, > viele Grundideen der Grünen bzw. der ökologischen Bewegung <: Diese Visionen haben viele Leser der NEUEN POLITIK, so auch ich, schon vor den GRÜNEN und der ökologischen Bewegung gehabt. Ich bin einer der Berliner Gründer der AKTIONSGEMEINSCHAFT UNABHÄNGIGER DEUTSCHER (AUD), einer der Vorgänger der Grünen. Als wir Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre vom „Umweltschutz“ sprachen, wurden Wort und Inhalt belächelt. Die Visionen von Frieden, Demokratie und einer lebens- und liebenswerten Umwelt trieben und treiben uns noch heute an. Bei den GRÜNEN sind die Visionen schon längst unter die parteipolitischen Räder gekommen. Richtig ist, daß Visionen jeden Tag neu erarbeitet werden müssen.

Die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, hat in Davos auf dem Weltwirtschaftsforum, nicht nur Wachstum gefordert, sondern für Deutschland auch versprochen. Eine Gesellschaft, ein Staat, eine Wirtschaftsgemeinschaft, die/der meint, sie bzw. er könne nur existieren, wenn „Wachstum“ stattfindet, ist krank, sogar schwerstkrank. „Wachstum“ heißt immer mehr Rohstoffverbrauch, heißt immer auf Kosten der Nachkommen leben, heißt Diebstahl - und das ist strafbar. Wenn überhaupt von Wachstum die Rede sein kann, dann nur von einem „sozialen Wachstum“, welches die Benachteiligten im Blick hat. Diejenigen, die zu viel wachsen, müssen die anderen nachholen. Das ist wie bei einer Wanderung: Der Stärkste nimmt auf den Schwächsten Rücksicht. Das kann auf unterschiedlichste Art passieren: mehr Bildung, mehr Verteilungsgerechtigkeit, Verzicht auf den Zins, mehr Basisdemokratie als Dialogform und Selbstbestimmung.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

(abgeschlossen am 17. Februar 2006)

 
     
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