Dieter Kersten - Juli 1999    
Editorial    
     
 

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,

nichts ist so alt wie die Nachricht von gestern. Das gilt insbesondere für den neunmal im Jahr erscheinenden Informationsbrief. Aber halt - ist es nicht auch wichtig, den Blick so weit zurückzuwerfen, wie es notwendig ist, den Faden für eine neue Entwicklung aufzunehmen? Deshalb halte ich es durchaus für richtig, den Beitrag von Prof. Dr. Mohssen Massarrat auf Seite 2 ff. abzudrucken. Er bestätigt einiges, was ich in der letzten Ausgabe zum Balkankrieg veröffentlicht habe.

Vielen mag es wie eine Subversion vorkommen oder vielleicht sogar obszön erscheinen, wenn ich das, was landauf, landab als Friedensmission bezeichnet wird, nämlich der Einmarsch der NATO - Truppen im Kosovo, nicht für eine solche halte. Das hängt mit der Vorgeschichte des derzeitigen Kosovo - Krieges zusammen, so z.B. mit der Förderung von Milosevic und seiner radikalen Freunde, den serbischen, "paramilitärischen Einheiten", und der UCK und die Vernachlässigung der serbisch-jugoslawischen Opposition und des jahrelangen gewaltfreien Widerstandes Rugovas und seiner Freunde im Kosovo durch die US-Amerikaner und ihre Verbündeten. Auch ist es die us-amerikanisiche Machtpolitik, die Machtpolitik der zur Zeit einzigsten Weltmacht, sowohl rohstoffreichen Weltgegenden als auch potentiellen Konkurrenten gegenüber.

Wir Deutschen lassen uns vor diesen Karren spannen. Heute, am 15. Juni, wird von 30 000 flüchtenden Serben, inzwischen sind es vielleicht 100 000, berichtet, und, das muß festgehalten werden, nicht mit dem gleichen weinerlichen Unterton, mit dem wochenlang das Elend der Kosovo - Albaner geschildert wurde Wo bleiben nun die Spendenaufrufe im deutschen Fernsehen? Die flüchtenden Serben mit ihren Frauen und Kindern sind fast Untermenschen, die keinen Mitleidsbonus haben.

Selbst für einen Menschen wie mich, der vom Militär nichts hält, ist es, nachdem der Krieg auf dem Balkan initiiert und den Initiatoren aus dem Ruder gelaufen ist, klar, daß die Rückkehr der Kosovo - Albaner nur durch eine bewaffnete internationale Truppe bewerkstelligt werden kann. Für eine solche bedauerliche Lösung sind mehr psychologische Gründe als sachliche Notwendigkeiten maßgeblich. Es ist zutiefst kontraproduktiv, daß diese internationale Truppe, die jetzt im Kosovo einmarschiert ist, genau die Staaten repräsentiert, die den Krieg auf seinen Weg gebracht haben. Wenn schon Militär Frieden schaffen soll, dann sollte es von Staaten geschickt werden, die an den bisherigen Massakern bzw. deren Finanzierungen, nicht beteiligt waren.

Die einzige Ausnahme sind die russischen Soldaten. Der russische Generalstab hat ganz offensichtlich sowohl die unklare politische Lage in Moskau wie den mit zu heißer Nadel gestrickten "Friedensplan" für den Kosovo ausgenutzt und hat den Flughafen von Pristina besetzt. Inzwischen gibt es eine Vereinbarung zwischen Rußland und der NATO; die, so hoffe ich, trägt. Aufgefallen ist mir nur, daß nicht die NATO verhandelt hat, sondern die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Probleme mit der UCK - den kosovo - albanischen Freischärlern - sind ebenfalls hausgemacht. "Der Westen" hat die UCK hochgepäppelt und wird, wie der Zauberlehrling, die (bösen) Geister nicht mehr los. Wenn man schon in einem Land eine militärische "Friedensmission" unternimmt, dann müssen von vornherein die Ziele definiert sein. Es muß klar sein, daß, bis eine zivile Verwaltung eine Polizei eingesetzt hat, die Ordnungsgewalt nur von den Soldaten der "Friedensmission" ausgeht. Will man den betroffenen Menschen, hier in diesem Fall den Flüchtlingen, wirklich helfen, dann sollte ein wesentliches Ziel einer Friedensmission eine zivile Verwaltung sein, die möglichst aus dem zu verwaltenden Volk kommt, die so bald wie möglich demokratisch kontrolliert sein muß. Inzwischen wird von einem Abkommen und von einer teilweisen Entwaffnung, sogar von einer Auflösung der UCK berichtet.

Hoffentlich ist es so. Wie ich es voraus gesagt habe: die internationalen Finanzmärkte werden zur Zeit von "Zinserhöhungs - Phantasien" beherrscht. Der Krieg auf dem Balkan wird den Geldbesitzern viel Zinsen bringen und nicht nur die Menschen vor Ort tief verschulden. Eine solche "internationale Finanzpolitik" bringt den hochverschuldeten "Wohlstand", in dem sich z.B. die Deutschen noch zur Zeit befinden - bis dann irgendwann die Seifenblase platzt. So lange es noch viele "Kosovos", sprich Kriege gibt, wird die Seifenblase noch ganz gut in Form gehalten, so daß es dauern kann, bis die Mehrzahl der Menschen (in Deutschland) merkt, daß sie verscheißert worden sind.

Und noch eins: wenn deutsche Politiker sich an die Mikrofone stellen und meinen, zur Beruhigung des bundesdeutschen Steuerzahlers verkünden zu müssen, daß die "Hilfen" für den Wiederaufbau Jugoslawiens und/oder Kosovos nicht nur aus dem Bundeshaushalt kommen, sondern auch aus dem EU-Haushalt oder vom Internationalen Währungsfond gezahlt werden, usw. ect. pp., dann lügen sie aus niedrigen Beweggründen, wenn sie nicht hinzufügen, daß auch diese Gelder zum Teil auch vom bundesdeutschen Steuerzahler gezahlt werden, so auch der Einsatz deutscher Soldaten.

Die Probleme dieser Erde bestehen nicht nur aus dem Krieg in Jugoslawien. Dieser europäische Konflikt hat sich gut geeignet, von der Brisanz anderer Ereignisse abzulenken. Auf dem G 8 - Treffen in Köln am 19./20. Juni wurde ein solches, fast vergessenes Thema, behandelt: das Schuldenproblem der ärmsten Länder dieser Erde. Ich bin für einen noch kräftigeren Schuldenerlaß, als beschlossen. Aber - der Umgang mit (fremden) Steuergeldern bei den Gebern und Nehmern erscheint mir zu lax gehandhabt. Zuviel Oligarchien in den Nehmerländern und zuviel Multis aus den Geberländern privatisieren den Gewinn, der aus der Entwicklungshilfe kommt, und zuwenig Menschen (Betroffene), eben diese Ärmsten der Armen, profitieren von dem Geld, welches in der Regel über das Steueraufkommen von den Armen aus den reichen Länder aufgebracht wird. Deshalb ist die Pose des Herrn Bundeskanzler Schröder fragwürdig. Die notwendige Diskussion über die Funktion des Geldes bei uns und in den armen Ländern findet leider nicht statt.

Im Nahen Osten, in Israel/Palästina, ist die politische Lage immer noch mehr als gespannt. Immer noch nehmen die Israelis den Palästinensern Land weg, täglich werden von den Israelis Menschenrechte verletzt, keiner der politischen Moralapostel in Washington, London, Paris und Bonn/ Berlin greift ein. Fast noch schlimmer geht es bei dem NATO-Partner Türkei zu, wo immer noch Dorf um Dorf in Kurdistan angezündet wird. Im Irak sterben immer noch Kinder; das US-Militär nimmt sich immer noch "das Recht", die Souveränität des Iraks zu verletzen, da die sogenannten Luftverkehrverbotzonen, von den USA verkündet, durch keine Resolution der UN gedeckt sind. Zur Erinnerung: vor der Kuwait - Invasion durch die Iraker hat die damalige us-amerikanische Botschafterin Saddam Hussein ermuntert, Kuwait seinem Staat einzuverleiben. Die Liste der internationalen Konflikte ist mit dem wieder aufgeflammten "heißen" Krieg zwischen Pakistan und Indien um Kaschmir fortzusetzen. Dieser Krieg ist eine Hinterlassenschaft der britischen Kolonialherrschaft. Mehr und mehr habe ich den Eindruck, als wenn die westliche "Wertegemeinschaft" Konflikte dieser Art immer dann erruptiv ausbrechen läßt, wenn, in diesem Fall, die Volksrepublik China in Spannung und in Schach gehalten werden soll. Das gilt auch für den Konflikt auf der koreanischen Halbinsel, auch wenn manchmal banalere Gründe eine Rolle spielen. Überall sind die Menschenrechte betroffen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Lassen Sie sich durch die "veröffentlichte Meinung", durch die Propaganda, nicht in der Bildung eines eigenen Urteils behindern.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

abgeschlossen am 23. Juni 1999

 
     
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