Dieter Kersten - Februar 1999    
Editorial    
     
 

Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter, sehr geehrte Damen und Herren,

Ekkehart Krippendorf, Alt-68er, hat in einem Offenen Brief in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 29. Januar den Bundesumweltminister gemahnt, daß es darauf ankommt, so die Überschrift, die Fehlentwicklung der Moderne zu korrigieren. Krippendorf schreibt u.a.: Sie brauchen an die Geschichte und die damit eingegangenen Verpflichtungen der Grünen nicht erinnert zu werden - oder vielleicht doch? Der jahre-, jahrzehntelange Aufklärungskampf über die gigantische Fehlentwicklung der Moderne, die in der Atomenergie gipfelt, war insofern gewonnen worden, als es die Partei der Grünen nunmehr gibt, die sich ihrerseits in einem breiteren Umfeld einer für viele Dimensionen des Umweltdramas deutlich sensibilisierten deutschen Meinungsöffentlichkeit bewegt, was seinen Niederschlag ja in der Programmatik inzwischen aller Parteien und vieler gesellschaftlicher Verbände gefunden hat. Das war und ist nicht nur eine große politische Leistung unzähliger Initiativen und >>Basisgruppen<<, es hat auch das geistig - politische Klima Deutschlands wesentlich verändert, das heißt zum Zivilgesellschaftlichen hin verbessert. Warum Gleiches in anderen europäischen Ländern nicht gelungen ist, darf man sich fragen - wichtig ist es aber im Moment nur insofern, als damit der in Deutschland sich bietenden Chance verantwortungsbereiter >> grüner Politik << auch eine europäische >> Avantgarde << - Rolle zufällt, ob man das will oder nicht, und man braucht sich dessen nicht zu schämen....Warum waren und sind die Grünen, warum sind Sie als nunmehr in entscheidender Position handelnder Minister gegen die Atomenergie, für den Ausstieg? ... Sie können und dürfen nicht zulassen, daß dieses große Projekt zum Gegenstand kontroverser Rechtsansprüche und Vertragsauslegungen unter Experten verkommt und dann auf dieser Ebene irgendwie >> gelöst << wird, damit würden Sie bestenfalls taktische Erfolge erzielen, aber die Sache nicht gewinnen. Was gefordert ist, was Sie sich und uns schuldig sind, ist die klare und deutliche, differenzierte und zugleich eindeutige erinnernde Begründung dafür, daß und warum mit Fortführung oder Abbruch der Atomenergie - Politik nichts weniger als ein Teil der Zukunft der Menschheit (so hoch dieser Anspruch auch klingen mag) auf dem Spiele steht, und warum mit diesem Ausstieg dort ein Anfang gemacht werden muß, wo sich die historische Chance bietet - was jetzt gewissermaßen zufällig in Deutschland passiert. ...

Ich denke, es ist klar, daß dieser an Trittin gerichtete Brief eigentlich auf die SPD zielt, deren Führung einstmals vehement für die Atomkraftwerke eingetreten ist und deren Funktionärsfußvolk heute vielerorts die Vergiftung der Menschen durch die Radioaktivität nach wie vor, und sei es über Aufsichtsratsmandate in der Energiewirtschaft, vertritt. Schröders Freund Müller, Bundeswirtschaftsminister, noch parteilos, hat das ausgesprochen, was der Bundeskanzler zur Zeit nicht sagt: die Industrie wird mit Hilfe der SPD weiter Atomkraftwerke bauen. Es fehlte nur der Zusatz - wenn wir die GRÜNEN wieder los sind.

Die Verknüpfung von Atompolitik als Fehlentwicklung der Moderne mit den Menschenrechten, der Wissenschaft, der Gesundheit und den zahlreichen Kriegen auf dieser Erde wird von vielen Menschen als eine zu komplizierte, fast unzumutbare Dehnung eines Themas kritisiert. Bleib doch beim Thema, heißt es! Aber es ist ein Thema. Der Bürgerkrieg auf dem Balkan und der Krieg um den Irak sind Kriege um …l und Gas. Kosovo hat in den Auseinandersetzungen eine strategische Bedeutung. Am Beispiel Serbien soll die politische Ohnmacht Rußlands demonstriert werden und den politischen, und "wenn es sein muß", auch dem militärischen Weg nach Baku zum dortigen …l freimachen. Die Bilder gleichen sich überall: zuerst werden Waffen aller Art, wobei ich unter Waffen auch Materialien zur Herstellung von Kriegswaffen verstehe, auf Deibel komm raus geliefert. Und dann geht es los: Kulturen, Strukturen, Menschen, Landschaften Natur, alles was das Leben ausmacht, werden zerschlagen. Nur der Vollständigkeit halber: die ehemalige Sowjetunion hat das "Spielchen" auch versucht, ist aber außerhalb ihres Landes nirgends so richtig zum Zuge gekommen, gottseidank, sonst hätte es einen 3. Weltkrieg gegeben. Sie waren nicht ganz so durchtrieben, wie die US-Amerikaner, die ihren "heiligen" Krieg in Ermangelung abmetzlungsfähiger Sklaven und Indianer im Westen und Süden ihres Landes immer mehr in den Osten ihrer Weltsicht verlagerten.

Der Irak mit seinen reichen …lvorkommen ist das direkte Ziel us-amerikanischer Rohstoffhabgier. Über die irakische Geschichte und über die miese Rolle von Herrn Saddam Hussein habe ich in der Vergangenheit schon genug Druckerschwärze verbraucht. Ich werde mich nicht wiederholen. Was sich die US-Amerikaner leisten, das hat der deutsche Arzt Siegwart- Horst Günther (G.), Präsident des Gelben Kreuzes, in der Wochenzeitschrift FREITAG vom 22. Januar unter der Überschrift Iraks Kinder sterben leise geschildert. Sind schon die allgemeinen Schilderungen von Hunger, Verwahrlosung und Tod in dem Gespräch, welches Regina Seifert (S.) führte, schlimm genug, so ist eine Passage aus dem diesem Gespräch schlimmer als alles andere: S. - Mit der Veröffentlichung Ihrer Untersuchungsergebnisse über den Einsatz von Uran-Geschossen durch die Alliierten im Zweiten Golfkrieg 1991 sowie deren Folgen für die dort lebenden Menschen haben sie internationales Aufsehen erregt. Wie kamen Sie darauf? - G. - Ich hatte kurz nach Kriegsende Geschosse gefunden, die ungewöhnlich schwer waren und mir eigenartig vorkamen. Später entdeckte ich bei meinen Untersuchungen in Hospitälern eine ungewöhnliche Krankheit bei Kindern. In ihrem Bauchraum hatte sich Flüssigkeit angesammelt, was offensichtlich auf Funktionsstörungen der Nieren und der Leber zurückzuführen war. Die Kinder konnten sich nur mühsam bewegen, hatten aber kaum Beschwerden und starben sehr schnell. Ich habe über diese Krankheit berichtet und vermutete zuerst, daß Giftgaseinsatz ihre Ursache war. Später sah ich dann in Basra Kinder mit dieser Munition spielen. Eines von ihnen verstarb an Leukämie. Das machte mich mißtrauisch. Ich ließ einige Geschosse durch die irakische Polizei einsammeln und brachte eine zur Untersuchung nach Deutschland. Es stellte sich heraus: diese Geschosse waren hochtoxisch und radioaktiv.- S. - Damit nahmen für Sie die Schwierigkeiten ihren Anfang. Das Geschoß wurde unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen beschlagnahmt. Sie wurden verurteilt wegen Verstoßes gegen das Strahlenschutzgesetz und inhaftiert. Eine Welle des Protestes erzwang Ihre Freilassung. Haben Sie heute noch Schwierigkeiten? - G. - Seit Ende April stehe ich wieder unter Polizeiaufsicht. Mir wird vorgeworfen, eine Vorladung des Gerichts mißachtet zu haben, die ich jedoch nie erhalten habe. Es muß mich seitdem zweimal wöchentlich an meinem Wohnort bei der Polizei melden.

Ich habe nicht gehört, daß der deutsche Außenminister bei der US-Regierung wegen des Verstoßes gegen die Menschenrechte im Irak protestiert hat.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Kersten

abgeschlossen am 12. Februar 1999

 
     
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